Keep making Apps
Zum Anlass der diesjährigen Apple Worldwide Developers Conference in San Jose (WWDC17), zeigte Apple den Anwesenden einen Film zum Stand der Welt, der überraschend offen die Abhängigkeit der Menschheit von den von Apple erfundenen Tools zeigt. Ob das in dieser Offenheit Absicht war, ist fraglich, denn der Abbinder „Keep making Apps“ weist in eine andere Richtung und vermag die Story überhaupt nicht ausreichend aufzulösen. Für die Anwesenden der WWDC mag „Keep making Apps“ eine einleuchtende Botschaft gewesen sein, doch wer unbefangen das gleichzeitig apokalyptische und postapokalyptische 3-Minuten-Werbeepos betrachtet, erhält ein seltsames Update zum Thema Menschsein und Digitalisierung.
Wir starten in der Zweit- (oder Dritt-) Generation des Apple-Konzerns (die Tim Cooke-Generation?). Apple scheint inzwischen eine Firma wie viele andere zu sein. Business-as-usual herrscht vor, Nachlässigkeit zieht ein, als ein neuer Angestellter für seinen kleinen Brunnen im Büro den Strom einstecken will und fälschlicherweise das Hauptkabel der Apple-Server abstellt. Der künstliche Brunnen wie auch die Grünpflanze, die sich unser Retro-iPod-hörender Nerd aufs Pult stellt, zeigen den Versuch, ein bisschen Natur in die technische Welt zu bringen. Doch das geht nicht. Es gibt nur noch ein entweder/oder: Digitalisierung oder Natur.
Und dann passiert weltweit das, was Warner der Digitalisierung schon lange prophezeien: Dass die grosse Abhängigkeit von der Digitalisierung im Nu einen Kollaps des Alltagslebens hervorrufen kann. Genau das wird auch in diesem Film prophezeit, aber nicht von den Kritikern der Modernisierung, sondern von einem ihrer Hauptakteure. Wenn die Apps aus dem iPhone purzeln funktioniert im Privatleben der Menschen so gut wie nichts mehr. Kein Facetime mit Oma, schreiende Kinder ohne Games, Carcrashes, weil das Naviapp ausfällt. Mit Apple betrifft das erst einmal nur das Privatleben, die industrielle Digitalisierung wird von anderen Akteuren vorangetrieben.
Doch das genügt bei weitem, um die Welt lahm zu legen. „World leaders are declaring a global state of emergency until the app situation can be resolved“, teilen uns die Breaking News mit. Unverhohlen zeigt Apple, wie ganze Nationen vom Funktionieren der Apple-Geräte abhängig sind.
Irrigerweise geht der Spot noch weiter. In der postappokalyptischen Zeit beginnen die Menschen, all die Vorzüge und Spielereien der Apps real, also anfassbar, umzusetzen. Das reicht von Frauen, die Fotos von sich unter dem Namen „Selfies“ verteilen, über Schönheitschirurgen, der Snapchatsche „Face Swaps“ in der Realität anbietet, bis hin zu übergrossen Setzkasten-Fenstern, in denen sich Männer à la Tinder feilbieten. Und unter dem Pappschild „Kandy Krush“ zertrümmert ein älterer Mann einfach Süssigkeiten mit einem Hammer.
Dieser letzte Teil ist nicht minder überraschend als die vorherigen: Die Welt ist zwar eine ärmere geworden, das System ist immer noch kapitalistisch, doch die Tatsache, dass die Menschen all die erfolgreichen App-Spiele(reien) in die Realität zurückholen, wird wohl niemand unter den Nicht-Digital-Natives als Problem betrachten. Im Gegenteil scheint sich hier eine verspielte, nicht-zerstörerische Kultur zu entwickeln, in der die Menschen wieder mehr untereinander sind, kommunizieren, spielen. In dem Sinne wäre dem Spot eigentlich folgender Slogan verständlicher gewesen: „Stop making Apps“.
Überraschend ist allerdings, dass sich hier kaum jemand über diesen Spot aufregte bzw. ihn genauer anschaute.
© Michael Kathe
Lukas Schmid
Danke, Michael. Du sprichst mir aus der Seele.