Erst vor kurzem konnte Michael einen Euro Effie in Empfang nehmen und auch sonst fällt der Serviceplan CD durch aussergewöhnliche Kampagnen auf. Egal wen man fragt, Michael gehört mit Bestimmtheit zu den beliebtesten CDs der Schweiz. Durch seine besonnene Art ist er prädestiniert Rezensionen zu schreiben. Immer ehrlich, auf den Punkt gebracht und wenn sie kritisch ausfallen, dann haben die Spots auch Kritik verdient. Vorhang auf für die zwölfte Runde.
* Bud Light: Keep it Bud-light.
Ironie geht in der Werbung gar nicht, zu eindimensional wird Werbung von den Menschen als das wahrgenommen, was gezeigt wird. Nicht, dass Konsumenten nicht ironiefähig wären, aber von der Werbung wollen sie es offenbar einfach nicht. Ist man trotzdem ironisch, wie Wieden + Kennedy London im vorliegenden Spot, dann muss das gleich zu Anfang überdeutlich signalisiert werden. Hier passiert das im Songtext der Lifestylewerbeverarschung: „Supercool girl, aspirational friend / Lifestyle ad with Bud Light at the end“. Folge deinem Herzen, trag deine Hosen weiterhin knackig-eng und trinke Bud Light mit deinem Mund.
So richtig Spass will aber trotzdem nicht aufkommen, denn so richtig sarkastisch will man dann die angepeilte Zielgruppe doch nicht angehen. Sich in der Werbung selbstironisch gespiegelt zu sehen, ist nicht mehrheitsfähig, und das dürfte auch diesem Spot zum Problem werden.
**Audi: Clowns
Die diskreditierten deutschen Autokonzerne, auf die man zutiefst sauer sein kann (schliesslich geht es bei den zu hohen Stickoxidwerten auch um massiv erhöhte Lungenkrebs- und Herzinfarktrisiken), sitzen ihre moments of shame aus und werden sich in näherer Zukunft einfach davor hüten, den „Clean Diesel“ zu bewerben. Dass Audi gerade jetzt mit Clowns Werbung macht, da jene zum Inbegriff des Grauens sind („It“), zeugt von unfreiwilliger Komik. Doch die Clowns in diesem Spot gehören natürlich noch zu den liebenswerten, sensiblen, schrulligen vergangener Zeiten und haben nichts mit den gefährlichen Clowns auf den Strassen und im Kino zu tun.
Audi ist auch heute noch State-of-the-Art-Werbung, die auf clevere Art Vorsprung durch Technik behauptet. Mit den Clowns in ihren angemalten, alten Karossen zeigt Audi auf sympathische Art, dass man mit ihren Erkennungssystemen auch vor den Idioten am Steuer anderer Autos geschützt ist (und das, ohne andere Automarken zu verunglimpfen). Ein überaus relevantes Sicherheitsthema, das bisher noch niemand auf so souveräne Weise thematisiert hat.
*** Libresse, Bodyform (UK), Nana (F): Blood normal
Der sogenannte Vignettenspot ist ein Überbegriff für viele Arten von Werbespots und soll einfach bezeichnen, dass sich ähnliche, passende Szenen aneinander reihen, ohne eine chronologische Geschichte zu erzählen. Gut sind Vignettenspots, wenn sie eine Story pointiert erzählen, weniger gut, wenn sie einfach eine Stimmung vermitteln oder zu viele Geschichten einfach nur mit Klischees anteasen. Der neue Spot der skandinavischen „Hygieneprodukte“-Produzentin Libresse macht letzteres und ist trotzdem gut. Weil es vielschichtig um ein Thema geht, das bis anhin in der Werbung noch nie so direkt und ehrlich angesprochen wurde: Menstruation.
Eigentlich gehört es zum gängigen Verständnis, dass das umschweiflose Aufzeigen der Wirklichkeit noch keinen kreativen Sprung bewirke. Doch seit Authentizität zum Repertoire der emotionalisierenden Werbung gehört, gibt es diese Ausnahmen. Für ein derart verdrängtes Thema wie Menstruation darf es geradezu als Durchbruch gelten, Mentruationsprobleme zu zeigen, Mentruationsbeschwerden mit klaren Worten anzusprechen etc..
Darum ist der neue Libresse-Spot Next-Level-Tamponwerbung. Schon nur, dass hier echtes (Film-) Blut ein Mädchenbein herunterfliesst oder in die Binde anstelle der werbeüblichen blauen Flüssigkeit ist revolutionär. Hier wird auch nicht falsche Rücksicht auf diejenigen Frauen genommen, die sich dabei nicht angesprochen fühlen. Es geht vielmehr auch darum, einen neuen Standard zu schaffen, mit dem man auch in Zukunft das Thema Menstruation enttabuisiert behandeln kann.
**Sally Hanson: Shetopia
Es ist schon immer wieder verblüffend, wie in den USA Werbespots entstehen, die das Thema der Gleichberechtigung von Mann und Frau aufnehmen (und erst noch unterhaltsam umsetzen). In der Schweiz (bzw. Europa) ist das kaum denkbar. In Europa werden emanzipatorische Haltungen selten so direkt in Unterhaltung umgesetzt. Nicht zuletzt auch aus Angst davor, politisch Stellung zu beziehen. Als ob man nicht mit einer selbstbewussten, weiblichen DNA werben könnte, die auch eine politische Komponente hat.
Der Kosmetikbrand Sally Hansen macht das und bezieht diese DNA auf ihre Gründerin gleichen Namens in den Vierziger Jahren (während und nach dem zweiten Weltkrieg wurden US-Frauen intensiv in den Arbeitsprozess integriert und verdienten Geld und Selbstbewusstsein). Diesen Effekt verstärkt der Spot noch damit, dass er nur Frauen auftreten lässt, die in der Wirklichkeit als CEOs kleiner und mittlerer Unternehmen Karriere gemacht haben. Sie dominieren Geschäftssituationen, stemmen selbst in schwangerem Zustand Hanteln, verführen jüngere Männer. Es mag nicht die grösste Idee der Welt sein, Frauen in Männerrollen und Männer in Frauenrollen zu stecken, doch mit der nötigen Beobachtungsgabe und dem nötigen Humor – wie hier – kann das durchaus unterhaltsam sein.
Natürlich wurde der Spot auch von einem weiblichen Produktionsteam und einer weiblichen Regisseurin umgesetzt. Der Song „Woman“ von Diana Gordon erschien bereits vor dem Werbespot – und schon Gordons Musikvideo wirkte wie eine Fashionvorlage des vorliegenden Spots. Das Interessante: im Shetopiaspot von Sally Hanson geht es zwar um Kosmetik, doch die ist überhaupt nicht auf Mode und Schönheit hin umgesetzt, denn Sally Hansen etikettiert sich als „Selfmade Beauty“. Und ist mit dieser Positionierung doch recht weit weg vom eigentlichen Produkt – und damit doch recht mutig.
*Agent provocateur: Tease and Hustle.
Wer in den Neunziger Jahren durch London’s Soho streifte, sah sich einer ungestüm sexualisierten Welt gegenüber: Ann Summers Sexshops, Raymond’s Revuebar und Prostituierte in den Hauseingängen. Und irgendwann stand man vor diesem Schaufenster mit Schaufensterpuppen in noch obszöneren Posen. Was auf den ersten Blick wie ein weiterer Sexshop aussah, präsentierte bei genauerem Hinsehen diese durchgeknallte, an den Fifties und Sixties orientierte Retroreizwäsche der Gründer Joseph Corre und Gattin Serena Rees. So startete das Label „Agent Provocateur“ (grossartiger Name!) seinen Siegeszug in die grosse, weite Welt von Luxus und High Fashion und ist heute an rund 20 Metropolen weltweit vertreten. Leider läuft das Geschäft in den letzten Jahren nicht mehr ganz so gut, weshalb man sich auch zu einer leichten Korrektur in der Kommunikationsstrategie entschlossen hat. Weniger banale Dessous-Tagträume von Ellen von Unwerth oder Penelope Cruz, mehr Credibility durch Storytelling und den Schmuddel des alten Soho.
Der gefeierte Musikvideo- (v.a. Depeche Mode) und Filmregisseur (Control) Anton Corbjin soll es richten. Was er anrichtet, handelt in einer sehr undergroundigen Szenerie, in der Männer hinter dicken Glasscheiben zwei Frauen zusehen, die Strip-Billard spielen, ihnen Geldnoten durch die Ritzen stecken und schliesslich mit einem grossen Vorhang vom Blick aufs letzte Hüllenfallen getrennt werden. Der Film ist kalt und statisch inszeniert und will das Begehren durch den fehlenden Zugriff der Männer auf die Frauen wieder erwecken, mit einer Situation, die so weit geht, dass selbst der klassische Tauschhandel Sex für Geld nicht zum endgültigen Ziel führt. Das mag zwar das Begehren etwas entflammen, aber mit modernen Geschlechterverhältnissen hat das nichts zu tun.
©Michael Kathe