In der dritten Folge «Michael rezensiert» entschied sich der Creative Director von Havas für vier tolle Spots. Für den Moment hat er auf die Rezension der «Geico-Spots» verzichtet und sich für eher unbekanntere Spots entschieden – ganz einfach, weil er diese genauso interessant findet. Mich freut diese Entscheidung sehr, so haben Sie einen Grund mehr, diesen Artikel zu lesen. Mein Ziel ist es, dass hier Artikel gelesen werden können, welche man sonst nicht findet.
Scotts Lawn: It’s good out here.
Ein Reh betritt einen Garten, der mit Rasen von „Scotts“ bewachsen ist. Das Reh ist verzückt und ja, streift seine Hufe ab, tastet mit seinen nackten Füsschen im kuschligen Grün herum und springt schliesslich – wie ein junges Reh – aus purer Lebensfreude auf dem Rasen herum. So einfach kann ein schöner Spot sein. Aber wer genau schaut, bemerkt den perfekten Einsatz der Musik, freut sich über die subtile Raffinesse des Abbinders („It’s good out here“) und erkennt neidlos an, dass noch kaum jemand ein Reh so raffiniert eingesetzt hat. Denn mit diesem Spot erfahren wir vielleicht zum ersten Mal glaubwürdig, was so ein sanftes Reh wirklich in Verzückung versetzt: Gras so kuschlig wie ein Flokati. Das ist der kreative Sprung.
Spotify: Neverending Story.
Ein Spot für ältere Semester, der Spotify ebendiesen schmackhaft machen wird: In der Szene aus dem Film „Neverending Story“ fliegt Atreyu mit Altersbart immer noch auf dem Drachen. Dazu läuft der Title Track des Films, „Neverending Story“, gesungen von Limahl (eben … ältere Semester werden sich peinlich berührt sich erinnern).
Atreyu meint: „I can’t believe that after all of these years people still listen to this song“ und der Drache fügt hinhzu „Me, neither“ – und beginnt, hämisch zu lachen.
Die Erkenntnis, dass selbst die schrecklichsten Machwerke der Popgeschichte noch ihre Fans und Hörer haben, beweist herrlich unprätentiös und auf verblüffende Art Spotify’s breite Musikauswahl: „Stories end. Songs are forever. ‚Neverending stories’ by Limahl: still streamed today.“
Tillamook: Goodbye Big Food, Hello Real Food.
Musikvideo-Virtuosin Floria Sigismondi (Marilyn Manson, Muse, David Bowie u.v.m.) macht im neuen Spot für den von Bauern betriebenen Produzenten von Milchprodukten Tillamook genau das wunderbar, was sie wunderprächtig beherrscht: tolle, knallige Farben und künstliche Welten.
Der erste Teil des Spots haut einen um: wie der rote Pudding vor dem grünen Hintergrund wabbert, wie die orangegelbe Majo vor dem blauen Hintergrund herausgedrückt wird – die Bilder sind in ihrer Farbenkraft und Reduktion schlicht atemberaubend.
„Goodbye Big Food …“ nennt das die Off-Stimme – und dann wird die knallbunte, ungesunde Nahrung gsprengt. Denn jetzt kommt „Hello, Real Food …“. Jetzt kommen akkustischere Klänge, reale Landschaften, reale Farbgebung (also viel braun und grün): Das reale Leben, das reale Essen (lustigerweise ein Cheddarkäse, der da auf lecker-natürliche Weise in zwei Teile gebrochen wird), die realen Menschen. Man muss sich daran gewöhnen, dass der ländliche, natürliche Teil wirklich schöner, bzw. wenigstens genau so schön, ist wie der künstliche. Aber irgendwie kriegt Sigismondi die Kurve halbwegs und selbst wir Schweizer lieben den Cheddar in diesem Spot.
Trotzdem: Ex negativo zeigt uns der Spot aber auch, dass der grosse Drang aller möglichen Foodpoduzenten und Detailhändler, uns die Bilder einer authentischen und natürlichen Welt der Nahrungsmittel anzudienen, uns gleichzeitig viele atemberaubende Food-Bildwelten vorenthält. Das ist der Geist der Zeit.
Oregon Travel. We like it here.
Der US-Bundesstaat Oregon hat einige Vorteile auf seiner Seite. Zum Beispiel kann er sich mit Portland der wohl alternativsten Grosststadt der USA rühmen, in der alles so organic, 2nd hand und independent ist, dass sich toute l’Amerique darüber in der TV-Comedy-Show „Portlandia“ amüsiert. Doch aus so einem progressiven, freiheitlichen Städtchen erwächst auch viel Kreatives. Nebst der vielleicht höchsten Dichte an bekannten Indie-Bands zählt die Stadt auch die Top-Werbeagentur Wieden & Kennedy ihr eigen, die zusammen mit einer Handvoll anderer Agenturen seit Jahren die kreative Spitze der USA, und damit auch der Welt, anführt.
Ihre heimische Tourismuswerbung für Travel Oregon ist dafür geradezu diskret ausgefallen. Der Bundesstaat bewirbt sich nicht mit den üblichen Tourismusträumereien, sondern gerade umgekehrt. Der „Wir haben nicht …“-Mechanismus wird durch die unglaublichen Landschaften im Nordwesten der USA konterkariert. Die Schlussfolgerung für die Zuschauer: Oregon bietet echte Naturschönheiten, nicht plumpe Highlights. Das ist zwar keine völlig neue Strategie, auch keine Neuerfindung der Tourismuswerbung, wurde aber unglaublich souverän in Kürzestspots umgesetzt.
Lieber Michael, vielen Dank für die tollen Rezensionen. Es macht unglaublich Spass diese zu lesen und sie sind eine grosse Bereicherung für den Blog, Yves Seiler.
©Text: Michael Kathe