Weihnachtsspots. Weihnachten ist Werbespass?
Ein gängiger Gedankengang, der durch die Gänge der Werbeindustrie geistert, ist zur Zeit: Was dem Amerikaner seine Superbowl-Werbepause, sei dem Europäer sein Weihnachtsspot. Bei beidem freue der Konsument sich so sehr auf Werbung, dass er bzw. sie gebannt vor dem Fernseher sitzen bleibe. So einfach zu vergelichen sind die Kontinente natürlich nicht. In den USA herrscht ein viel intensiveres Verhältnis zur Werbung als in Europa. Soviel wie in den USA wird auf unseren Strassen niemals über Werbung gesprochen. In Europa dürften es gerade mal die Briten sein, die die Xmas-Spots der grossen Warenhausketten tatsächlich zum medialen Diskurs erheben.
Auch Deutschland hat vor zwei Jahren nicht etwa nachgezogen, es war lediglich die Warenhauskette Edeka, die zu den hohen Festtagen einen kühnen, umstrittenen Werbespot platziert hat. Mit einer tragisch-ehrlichen Idee: Ein Grossvater beklagt seine Nichtbeachtung, gibt sich als gestorben aus und ladet alle Kinder und Kindeskinder zur Totenfeier ein, um dann zu sagen: „Wie hätte ich euch denn sonst alle zusammenbringen sollen?“ Der Spot „Heimkommen“…
…war auf Provokation angelegt, aber besass die freche Ehrlichkeit, um Edeka als Lovebrand zu positionieren. Nach „Supergeil“ der zweite Coup einer inkohärenten, fragmentierten Werbekampagne, die ihre mediale Wirkung rein auf einen begehrenswerten Inhalt aufbaut.
Letztes Jahr folgte von Edeka zwar ein schöner Insight, liebevoll dargebracht. Allerdings viel zu brav, als dass er es zum Talk of Germany geschafft hätte. In „Zeitschenken“ wird charmant moniert, dass Erwachsene vor Weihnachten viel zu viel zu tun haben.
Für das neue Jahr hat sich die Agentur Jung von Matt zu Weihnachten wieder etwas mehr vorgenommen. Produktionstechnisch Grosses. Und inhaltlich aus ganz anderer Perspektive. „Wehnachten2117“ nimmt ein gesamtgesellschaftlich relevantes Thema zum Grundstoff der Werbestory: die Angst vor der Robotik und vor künstlichen Intelligenzen. Nie zuvor wurde so viel zu diesen Themen publiziert wie im letzten Jahr. Das sind zwei der wirklich grossen Veränderungen der Zukunft:
In einer dystopischen Welt, in der die Roboter offenbar gerade erst die Herrschaft über die Städte der Menschen erlangt haben, schert eine der smarten Blechbüchsen aus dem Gleichschritt aus, verführt vom guten alten Kino – in dem ein unglaubwürdiger Weihnachtsfilm mit dem langweiligen Titel „Wunderbare Weihnachten“ läuft, ein unsäglicher 1950er Jahre Kitsch-Film, der geradezu als Beweis dafür herhalten kann, weshalb die Roboter inzwischen den Menschen überlegen sind.
Nachdem er das Ritual „Geschenke auspacken“ nicht mit Schaufensterpuppen nachspielen kann, versucht er es mit echten Menschen, die er in den Wäldern ausserhalb der Städte findet. Die Botschaft am Ende des Films ist eine schöne: erst die weihnächtlichen Rituale eröffnen Menschen (und dereinst künstlichen Intelligenzen) die Möglichkeit, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Egal wie fünfzigerjahre-verlogen sie auch sein mögen.
Edeka zeigt, dass kontroverse Gedanken oder Themen einen Weihnachtsspot durchaus bereichern oder gar stärker emotionalisieren können. Im Gegensatz dazu scheint die John Lewis-Kitschschiene 2014 mit „Monty the Penguin“…
…ihren emotionalen und 2015 mit „Man on the Moon“…
…ihren kreativen Höhepunkt erreicht zu haben. Auch der aktuelle Spot „Moz the Monster“ unter der Regie des einstigen Musikvideo- und Filmgenies Michel Gondry („Eternal sunshine of the spotless mind“) ist nicht mehr als warmer Aufguss:
Die weihnachtliche Botschaft beim herzigen Monster ist schon einiges schwerer herauslesbar als beim herzigen Pinguin. Weshalb verschwindet hier das Monster nach der Bescherung? Weil der Junge nachts nun mit einer Planetarium-Lampe spielen will?
Konkurrent Sainsbury’s, der in 2014 mit dem wahrhaft berührenden Historienspot „1914“ den Schützengräben von Verdun für einen weihnachtlichen Fussballmoment Frieden brachte,…
…verbreitet in diesem Jahr mit einem Karaokesong, der die Vielfalt von Geschenken preist, nicht viel mehr als Langeweile.
Beinahe ebenso langweilig präsentiert sich Tesco, auch wenn sie eine muslimische Familie in ihren „Turkey“-Spot integriert haben, was im nationalistischen England wiederum eines gewissen Muts bedarf:
Auch der britische Challenger Aldi, in England schon durch viel gute Werbung aufgefallen, enttäuscht mit dem märchenhaften Gemüsespot „Kevin the Carot“, einer nicht zu Ende gedachten Geschichte.
So darf im diesjährigen Kontext der neue Weihnachtsspot von Marks + Spencer zu den besseren und amüsanteren gerechnet werden: Paddington, der Bär, entdeckt einen Einbrecher, erkennt ihn nicht als solchen und verteilt mit ihm die Geschenke zurück an ihre tatsächlichen zukünftigen Besitzer:
Ob in diesem Jahr die Idee, dass die Briten oder gar Europäer sich auf Weihnachtswerbung freuen, wirklich glaubwürdig mit unterhaltsamen Spots untermauert wurde, mag angezweifelt werden.
H&M:
©Text: Michael Kathe