Die USA spielen verrückt. Seit drei Jahren ist eine Regierung an der Macht, die alles tut, damit die Wirtschaft einen grossen Lauf hat, indem sie Unternehmen und Milliardären grosse Steuergeschenke macht und ausländischen Produkten hohe Einfuhrzölle auferlegt. Gleichzeitig versucht dieselbe Regierung Grundrechte wie die Gewaltenteilung abzuschaffen, foutiert sich um den Klimawandel, missachtet Menschenrechte im eigenen Land und heizt Rassenhass an.
Dass einige der ganz grossen US-Brands darauf nicht mit stillschweigendem Auskosten der traumhaften wirtschaftlichen Bedingungen reagieren, sondern sich offensiv für mehr Bürgerrechte stark machen, für Genderdiversität oder für eine andere Klimapolitik und nicht einmal vor einer Konfrontation mit dem US-Präsidenten zurückschrecken („Nike is getting absolutely killed …“, twitterte der), mag verwundern. Brands wie Nike („Dream crazy“), Unilever („Unstereotype“) oder Gilette („toxic masculinity“) bieten einen politischen Aktivismus auf und hoffen damit, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und damit auch eine moralische Leadership zu erreichen und zu festigen.
Wie eine Studie von Kantar Millward Brown („Getting Gender Right“) feststellt, bewegte sich ein grosser Teil der Gesellschaft im letzten Jahrzehnt schneller gesellschaftspolitisch vorwärts als die Werbung, die sie eigentlich beeinflussen will. Um das zu ändern ist es enorm wichtig, klassische Stereotype aus der Werbung zu verbannen und „aspirational“ zu sein, also (zukünftige oder jetzige) gesellschaftspolitische Vorbilder zu zeigen (wie z.B. selbstbewusste Frauen im Hidschab as seen bei H&M oder Nike).
Dass es vielen US-Teens und Twens schlechter geht als ihren vorherigen Generationen, vermengt die identitätspolitische Ausrichtung der meisten Kampagnen mit einer sozialpolitischen. Deshalb findet sich auch ein grosser Teil der jungen Konsumenten unter den Befürwortern von Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders wieder. Er hat sich schon immer glaubwürdig genauso für Minderheiten, Geschlechtergleichheit etc. wie für soziale Gerechtigkeit eingesetzt. Er ist populär, obwohl er von der republikanischen Regierung als Kommunist beschimpft wird und von der demokratischen Elite argwöhnisch beäugt. Doch Sanders erreicht unter der jungen Wählerschaft Traumquoten.
Jetzt also zu ein paar aktuellen Spots, die alle auf ihre Art „aspirational“ eine fortschrittliche Welt beschreiben und als Identifikation anbieten. Es handelt sich um eine Reihe wahllos zusammengewürfelter Spots vom Januar und Februar 2020.
Girls Girls Girls Magazine: Be a Lady they said.
Die sich wiedersprechenden Normierungen, denen Frauen ausgesetzt sind, werden für das Frauenmagazin „Girls, Girls, Girls“ in einem Staccatomonolog aufgezählt. Sei schön, trag nicht zu kurze Röcke, sei keine Schlampe, sei doch nicht so prüde, trag kurze Rücke und High Heels, motz dich nicht so auf usw.. Die Widersprüchlichkeit der Forderungen und die Verwirrung darüber, wie eine Frau denn nun zu sein hat und sich verhalten soll, wird mit irre sexy Bildern untermalt, die einen hellhörig machen sollten … wäre da nicht Cynthia Nixon, die wir als Miranda in „Sex and the City“ gerade noch genug im Gedächtnis haben, um sie jetzt mit ihrer Performance als erfahrene Grand Dame grossartig zu finden. Sie macht den Spot zu einer dramaturgisch faszinierenden, aufrührerischen Litanei.
Dass es sich bei „Girls, Girls, Girls“ um ein glamouröses Modemagazin handelt („No grunge, just glamour“), schmälert die Aussage nicht. Glamour soll eben nicht zwingend sexistisch verstanden werden.
Ein Tipp nebenbei: Eine feministische und moderne Frauenzeitschrift ist übrigens die deutsche „Missy“ (https://missy-magazine.de), die gerade eben im deutschen ADC den Willy Fleckhaus Preis erhalten haben (der WF-Preis „wird seit 2019 an Magazine verliehen, die veränderte Zeiten verändern“).
SAS Scandinavian Airlines: What is truly scaninavian?
Damit progressive Statements überzeugend dargelegt werden können, brauchen sie oft etwas mehr Zeit – was ein Mitgrund sein kann, weshalb Spots heute kaum noch nach 30 Sekunden aufhören. SAS Scandinavian Airlines können zwar nicht gerade eine ökologische Dienstleistung bewerben – im Gegenteil -, schreiben sich aber auf höchst originelle Art eine andere Leistung zu. Die selbst gestellte Frage „What is truly Scaninavian?“ beantwortet die Fluggesellschaft mit „Absolutely nothing“ – denn alles Gute und Kluge, was wir als skandinavisch ansehen, sei auf Reisen von andern Völkern abgeguckt worden. Deshalb bilde das Reisen die Skandinavier.
Wie politisch brisant diese Idee war (oder wie wenig bereit Europa dafür ist mit seinen lauten, aggressiven Nazis), zeigte sich daran, dass die SAS bereits nach 24 Stunden über dem von den rechtsextremen Schwedendemokraten und der Dänischen Volkspartei losgetretenen Shitstorm kapitulierten. „Teuflischer Unsinn und Selbsthass“ postete Schwedendemokrat Richard Jomshof auf Facebook. (By the way, schon mal aufgefallen, wie sich ausgerechnet Tech-Giganten wie Facebook so gar nicht fortschrittlich sind?! Wie Marc Zuckerberg vor wenigen Monaten in einer Anhörung freimütig zu Protokoll gab, veröffentlicht er auf weiterhin gelogene FB-Ads von rechts.)
Extinction Rebellion / Amazon Watch: Guardians of Life.
Geradezu beschaulich verhält sich im Vergleich dazu der Spot der umstrittenen, mit radikalen Aktionen Aufsehen erregenden Extinction Rebellion und des NGO’s Amazon Watch. Der Spot mag ein bisschen vorhersehbar sein, zeigt dafür mit Joaquin Phoenix hinter einer Atemmaske in der Hauptrolle und ist trotzdem gut gemacht. Daneben übrigens noch mit Matthew Modine, Rosario Dawson, Oona Chaplin (GoT) und Albert Hammond Jr. (Ex-“The Strokes“).
Mehr zu erzählen, würde bedeuten, den Spass aus dem Spot herauszuoperieren. Dass die Schlussbotschaft „What next? Act now.“ heisst, wird niemanden überraschen und darf verraten werden. Phoenix’ Grund fürs Mitmachen, „ I did it to raise awareness about the meat and dairy industry’s effect on climate change.“, findet in diesem Filmscript allerdings keinen Wiederhall und wirkt etwas bekifft, wenn man sich den Inhalt des Films ansieht.
Bernie Sanders: MLK.
Nicht zuletzt noch ein politischer Spot aus dem US-Vorwahlkampf der Demokraten. Egal, wie er abschneiden wird gegen Joe Biden: der alte Bernie Sanders war und ist der populärste Kandidat unter allen demokratischen (und natürlich republikanischen) Kandidaten bei einer jungen Wählerschaft. Selbst in manchen Bundesstaaten, in denen er am Super Tuesday mit 20% gegen Biden mit fast 50% der Stimmen massiv unterlag, vereinigt Bernie bei Wählern unter 40 Jahren einen Anteil von über 50% der Stimmen. Seine Kampagne ist zwar klassisches, vor Pathos wabberndes US-Emotionskino und mag nicht sonderlich originell sein, doch die Kampagne hat im Gegensatz zu anderen Präsidentschaftskandidaten eine Idee: Bernie ist retro im besten Sinne. Nicht (nur), weil er schon so alt ist, sondern auch, weil er „Aufbruch“ und demokratischen Sozialismus mit dem Vergleicht zur Bürgerrechtsbewegung cool macht. Eigentlich müsste er Trump den Slogan „Make America great again“ – denn dessen „again“ könnte auch auf die progessive Wende der Sechziger verweisen. Aber Vorsicht: der Spot dauert über 5 Minuten.
©Text: Michael Kathe