Von Michael Kathe: Politische Werbung in der radikalisierten USA scheint keine Grenzen gegenseitigen Respekts mehr zu kennen. Vor allem eine der beiden grossen Parteien hat jeglichen Anstand hinter sich gelassen, die Grand Old Party (GOP) der Republikaner. Nach Donald Trumps erbärmlicher Präsidentschaft, die aber voll war von Tabubrüchen, sieht sich die Rechte in Amerika ermutigt und gestärkt, ihre Vorstellungen mit immer (rechts)radikaleren und illegalen Mitteln durchzusetzen. Die misslungene Capitol-Erstürmung am 6. Januar 2021 war nur einer von vielen Versuchen, durch Bschiss die Macht zu erhalten oder wieder zurück zu erlangen.
Passend dazu auch die Symbolik, mit der sie für sich werben. Immer mehr Republikaner posieren inzwischen mit Gewehren, mit denen sie sich einfach als stark und durchsetzungsfähig präsentieren können, aber inzwischen auch immer unverhohlener den politischen Gegner angreifen. An vorderster Front stehen dabei republikanische Politikerinnen.
Rechte Frauen vermitteln damit die Stärke, die ihnen die konservativen, rechten Wähler sonst vielleicht nicht zugestehen würden. Manche Frauen machen das zaghaft, manche vehement, manche mit wenig Schusswaffen-Erfahrung, mache mit einem gewissen Recht. Winsome Sears etwa, die erste afroamerikanische Abgeordnete im House of Delegates in Virginia, mag zwar etwas verkrampft mit ihrer automatischen Waffe auf ihrem Wahlplakat posieren, doch zumindest hat sie eine harte Ranger-Ausbildung hinter sich. Sie könnte also tatsächlich die Knarre ernsthaft bedienen. Viele Demokratinnen, die teilweise eine weitaus grössere Militärkarriere hinter sich haben, wie die 2020-Präsidentschaftskandidatin Tulsi Gabbard oder Senatorin Tammy Duckworth, lassen sich demgegenüber meist nicht mit Waffen ablichten.
Bei den Republikanerinnen stellen sich vor allem die „Neuen“ mit harten Waffen ins Rampenlicht, diejenigen, die 2020 als Trump-Anhängerinnen gewählt wurden, sich offen zu QAnon-Verschwörungstheorien und Umsturz bekennen (und damit zu einträglichen „Grassroots“-Spendensammelmaschinen für die republikanische Partei wurden).
Lauren Boebert ist Restaurantbesitzerin in Colorado, und zwar (kein Witz!) in einem Ort, der „Rifle“ heisst. Dementsprechend heisst ihr Restaurant auch gleich „Shooters Grill“ und ihren Ruhm schöpft die vehemente Waffenbefürworterin aus dem konsequenten Weiterdenken dessen. Der „Shooters Grill“ hängt voller Pistolen und Gewehre und Besucher werden vor dem Restaurant dazu eingeladen, doch gern bewaffnet einzutreten. An Weihnachten postete sie ein Familienbild vor dem Baum, auf dem all ihre Kinder Waffen trugen. Boeberts Waffenfetischismus war ihr Eintritticket, um in den Kongress gewählt zu werden, und à propos Kongress: Einen Tag vor dem 6. Januar 2021 war sie weltweit in den Medien, weil sie ihre Waffe unbedingt auch im Kongressgebäude tragen wollte. (Interessante Frage: Auf wen hätte sie während der Kapitolerstürmung wohl geschossen: auf Pelosi oder den Pöbel?)
Den Rang als auffälligste Medienfigur der radikalen Rechten abgelaufen hat ihr inzwischen Marjorie Taylor-Greene. Ihr fällt zur Zeit Trumps ehemalige Rolle zu, ein- bis zweimal wöchentlich durch eine Ungeheuerlichkeit in allen US-Medien präsent zu sein. Letzte Woche beehrte sie einen White-Supremacy-Kongeress als Star, vorletzte Woche verdammte sie „Nancy Pelosis Gazpacho Police“ (und meinte damit „Gestapo Police“). Waffen sind essenziell für Sie, zumindest imagemässig. Sie posiert nicht nur, sie schiesst. Wenigstens in der Werbung. Gegen den Sozialismus, den die Demokraten angeblich einführen wollen:
Und sie veranstaltet gleich eine Verlosung der Waffe im Clip, welche die Biden-Administration angeblich verbieten will. Im Gegensatz zur Anzug-tragenden Winsome Sears verkörpert sie eine von uns, in Jeans, keine besonders exaltierten Boots, Jacke in Militärgrün.
Überhaupt sind die Charaktere, die die Politikerinnen repräsentieren, durchaus verschieden. In Las Vegas kann man auch seinen Sex Appeal spielen und in High Heels und engem Kleid schiessen, so wie Michele Fiore, Mitglied des Stadtrats in Vegas, in ihrer aktuellen Kampagne, um Gouverneurin von Nevada zu werden:
Mit ihrem „Three Shot Plan“ ballert auch sie direkt auf die funktionierendesten Feinbilder der Gegenpartei: Impfpflicht verbieten, die Critical Race Theorie verbieten und Wahlbetrug stoppen. Das Schöne an den feindlichen Bierflaschen: Sie tragen alle den gefährlichen Brand „Sozialismus“ auf dem Etikett.
Härter sind nur die Männer der republikanischen Partei. Sie schiessen direkt auf den Mann – oder noch lieber: die Demokraten-Frau. Während sich Jim Lamon mit einem humorvollen Spot für den Senat bewirbt und Joe Biden („Old Joe“) und Nancy Pelosi („Crazyface Pelosi“) lediglich die Waffen aus der Hand schiesst …
… ist der Post des rechtsradikalen Paul Gossar (der letzte Woche den gleichen Faschistenkongress besuchte wie Marjorie Taylor-Greene) inzwischen aus dem Netz entfernt. Ermordet wird die links stehende, populäre demokratische Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez, Joe Biden wird mit einem Schwert traktiert. Das allerdings auch als Trickfilme, weil diese Mangaästhetik den jungen Leuten gefallen (so Gossar). Von Twitter und und anderen Medien verbannt ist der Film sicher nichts, womit man in einer der grossen US-Konzerne seinen Job behalten würde … im US-Kongress ist das allerdings möglich. Keiner der mächtigsten Republikanerführer befand es jedenfalls für nötig, Gossar für dieses Filmchen zu rügen – zu sehr herrscht die Angst in der Grand Old Party vor, damit Trumps Unmut zu erregen. Hier erhält man einen kleinen Eindruck davon: www.independent.co.uk/news
Text: Michael Kathe