Michael Kathe rezensiert – Der einarmige Judo-Champion von Dominik Imseng.
Seit der Intelligenz- und Persönlichkeitsforscher Joy Paul Guilford die Grundlagen der Kreativitätsforschung legte und mit seiner Folgerung „Jeder ist kreativ“ erstmals das Geniekult-Paradigma in Frage stellte, wurden ganze Industriezweige einem Kreativitätsimperativ unterstellt. Die ersten von Ihnen waren die Mode-, die Design- und die Werbebranche. Inzwischen hat Kreativität die Mitte der Gesellschaft erreicht: jeder und jede wollen und müssen kreativ sein.
Kein Wunder braucht es dazu geistige Unterfütterung. Nicht erst seit Frank Bodins „Do it, with love“ sind Bücher zur Motivation, Entdeckung und Entfaltung von Kreativität en vogue. Dominik Imseng hat dazu ein weiteres geschrieben. Ein weiteres?
Ein anderes. Denn wer über Kreativität schreibt, überlegt sich auch etwas Überraschendes. Imseng versammelt in „Der einarmige Judo-Champion“ 50 bedeutende Geschichten, in denen eine zündende Idee die entscheidende Rolle spielte, um den Lauf der Welt (oder die persönlichen Geschicke eines Menschen) zu verändern. Aus der Jetztzeit, aber auch aus vergangenen Zeiten, in denen der kreative Imperativ noch nicht formuliert war.
Auf hoher See.
Den Anfang macht die vielleicht grösste Geschichte, wenn es um Kreativität geht: Den Kampf um die Vormachtstellung im westlichen Mittelmeer zwischen den Römern und Karthagern 250 v. Chr. entschieden die Römer zu ihren Gunsten, weil sie eine clevere Idee hatten. Sie erfanden die Enterbrücke, um ihre Überlegenheit im Kampf auf dem Land auch aufs Wasser zu tragen und durchbrachen so die Dominanz Karthagos auf dem Meer.
Diese Geschichte steht auch am Anfang, weil sich Dominik Imseng auf Wicki, den kleinen Wikinger, und seine Erlebnisse auf hoher See bezieht – die Animationsfigur aus den Siebzigern, die uns westeuropäischen Kindern das Dogma der guten Idee auf liebenswerte und spannende Weise näher brachte.
Ein Füllhorn guter Ideen.
Die Stories sind durchnummeriert und liebevoll gestaltet. Die raffinierte Story um den einarmigen Jungen, der Judo-Champion wurde, trägt die Nummer 38. Empfehlenswert. Die Kautschukverarbeiter André und Edouard Michelin hatten im 19. Jahrhundert bereits eine Marketingidee, wie man sie erst seit den 10er Jahren dieses Jahrhunderts systematisch anwendet: Story Nummer 8. Eine besondere Ehre gebührt auch dem Wartungstechniker am Amsterdamer Flughafen Schiphol, der das Bild einer kleinen Fliege auf dem Grund der Urinale in Männertoiletten eingravieren liess: denn wo die Fliege ist, platschen 80% weniger Urin auf den Boden. Nummer 21. Und nicht zu vergessen Dick Fosbury, Alice Cooper, Houdini, Anna Haupt und Terese Alstin (ja, die kennt man – wie manch andere – nicht. Wäre aber schön, wenn doch: Nummer 12.)
Hätte „Der einarmige Judo-Champion“ nur 24 statt 50 Geschichten, wäre es ein perfekter Adventskalender zum Lesen. Oder ist es trotzdem: Wenn man 2 Geschichten am Tag liest. Und an Weihnachten kann man das Buch sogar weiter verschenken. Denn es ist auch ein perfektes Weihnachtsgeschenk. Darum wurde es wohl auch jetzt veröffentlicht.
©Text: Michael Kathe