Er prägt die Werbebranche wie kaum ein Anderer. Leute kennen ihn, auch wenn sie mit Werbung nichts am Hut haben. Dies, weil der mittlerweile selbst zu einer Marke gewordene Frank Bodin Interesse weckt, Interesse bei den Medien, als Autor, Referent und als CEO der Agentur Havas.
Bis vor zwei Jahren kannte ich den Havas CEO nur aus den Medien. Beim ersten Kennenlernen spürte ich sofort wie bodenständig, zuvorkommend und humorvoll er ist. Kein Typ Mensch, welcher auf Effekthascherei setzt, bei Frank Bodin spürt man Tiefe. Und klar, wo Erfolg ist, da gibt es Neid. Ich bin mir sicher, dass ihn die Neider nicht interessieren. In seinen Handlungen stehen die Interessen der Agentur an oberster Stelle. Neukunden gewinnt man, wenn man selber bekannt ist. Bekannte Marken arbeiten mit bekannten Agenturen. Jede bedeutende Agentur hat ein Aushängeschild. Bei Havas ist das nun mal deren CEO, welcher sich an vorderster Front um das New Business bemüht. Wichtiger als New Business ist jedoch Bestandskunden zu halten. Ausgerechnet hier musste der Unternehmer eine bittere Pille schlucken. Mehr dazu im folgenden Interview.
Du prägst die Schweizer Werbebranche seit vielen Jahren. Wie beurteilst du den aktuellen Zustand der Branche?
Frank Bodin: Den Zustand der Branche bildet am besten das Ranking von leading swiss agencies ab. Die Werbeausgaben steigen zwar, aber die Honorareinnahmen der Agenturen sinken und die Profitabilität ist entsprechend ebenfalls unter Druck. Es gibt einige wenige überdurchschnittliche Gewinner, zu denen 2014 und 2015 auch Havas gehörte mit 20% bzw. 16% Wachstum, wobei die Hälfte des Wachstums aus neuen Geschäftsfeldern kam. Die Branche ist zwar digitaler, aber auch volatiler geworden. Buzz-Wörter wie Storytelling und Content können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Magie der Kreativität auch schon gefragter war. Viele Marketer singen zwar gerne im Silicon-Valley-Chor das Hohelied der Try-and-Error-Mentalität mit, aber sind in Tat und Wahrheit vor allem darauf aus, möglichst keine Fehler zu begehen. Income geht den Agenturen durch die Verlagerung grosser Mandate aus vermeintlichen Kostengründen ins Ausland verloren. Das hat leider gerade jetzt im Dezember auch unsere Agentur getroffen: Wegen den bedeutend geringeren Löhnen in Österreich hat der PSA-Konzern seine gesamten Marketing-Aktivitäten nach Wien verlagert mit der Folge, dass Peugeot und Citroën für den Schweizer Markt ab 2017 von Havas in Wien betreut werden. Dass ich gezwungen wurde, Stellen mit sofortiger Wirkung noch vor Weihnachten zu streichen, ist sehr bedauerlich. Meine Laune ist entsprechend alles andere als vorweihnachtlich. Dass ich Havas in Wien neu aufgebaut hatte, ist Ironie der Geschichte. Ein neues Auto-Mandat wäre ein tolles Weihnachtsgeschenk für unsere Crew.
Mit Havas machst du Werbung für bekannte Marken. Du selber bist zu einer Marke geworden. Was zeichnet eine erfolgreiche Marke aus?
Nachdem ich als Student das erste Mal mit der Werbebranche in Berührung kam, haben mich zwei Aspekte fasziniert: Erstens, die Möglichkeit, mit Kreativität Dinge grundlegend zu verändern. Zweitens, einige ziemlich aussergewöhnliche Persönlichkeiten. Intellektualität, Unangepasstheit, analytisches Talent, Humor, die Fähigkeit, die Welt aus neuen Blickwinkeln zu betrachten, Rückgrat – mit Leuten zusammenzuarbeiten, welche derartige Eigenschaften verkörpern, empfand ich immer als Privileg. Das Wichtigste an einer Marke ist die Überzeugung, die sich in ihr verbirgt. Apple wollte nicht einfach Computer oder Telefone herstellen, sondern die Welt durch Design verändern. Nike wollte nicht einfach Schuhe verkaufen, sondern eine Bewegung im Sport auslösen. Erfolg ist nie das Ziel, sondern nur eine Folge unseres Tuns. Ich denke, ich habe nicht ganz alles falsch gemacht.
Wie abhängig ist Havas von der Marke Bodin?
Eine Agentur ist wie ein Orchester. Havas hat wunderbare Musikerinnen und Musiker. Und zwar so viele wunderbare Talente, dass ich sie hier nicht aufzählen kann. Kommt hinzu, dass die Führung breit abgestützt ist. Ich kann einige Dinge sehr gut. Andere können anderes besser. Eine Agentur ist einerseits von den Auftraggebern abhängig. Und andererseits von den für die Qualität notwendigen zahlreichen, unterschiedlichen Talenten. Ich erachte mich als ein Teil davon, nicht mehr, nicht weniger.
Mit deinem kleinen Buch «Do it, with love» konntest du einen grossen Erfolg verbuchen. Wie gross ist der Erfolg tatsächlich? Kannst du uns ein paar Zahlen verraten?
Das Buch ist in der vierten Auflage in den Buchhandlungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ich kenne die neuesten Zahlen nicht und sie interessieren mich auch nicht wirklich. Verkauft sind sicher mehr als 10’000 Exemplare, aber noch keine 20’000. Damit ist das Buch ja bereits ein Bestseller. Die grösste Freude für mich ist die Freude der anderen, die sich nach wie vor in unzähligen kreativen Posts und Zuschriften ausdrückt. Da das Buch in Englisch verfasst ist, hoffe ich auf eine Kooperation mit einem Verlag in den USA und in UK – wer auch immer einen Kontakt herstellen kann, soll sich doch bitte melden.
Bist du im kreativen Tagesgeschäft bei Havas noch stark involviert?
Mein Golfspiel – etwa Handicap 97 – ist jedenfalls bedeutend schlechter als die eine oder andere Idee, die ich beisteuere. Kreative Kommunikation war nie nur ein Beruf für mich, sondern ist eine Leidenschaft. Ich bin Teil der Havas-Familie und darf mittun, wenn mir nicht gerade administrative Arbeitsberge die Sicht auf die Kreation versperren. Ausserdem war ich während den vergangenen zwei Jahren Chairman des globalen Creative-Boards von Havas.
Ich habe gehört, dass du vor allem, wenn ihr an einem Pitch arbeitet, stark involviert bist. Ich kann mir gut vorstellen, dass ein Pitch für dich ein Wettkampf, wie für einen Sportler ein Turnier ist?
Werbung ist Chefsache. Was wir von unseren Kunden erwarten, sollten wir auch selbst vorleben. Ich habe einen engen Kontakt zu den meisten Mandaten. Wachstum ist die Grundlage für eine erfolgreiche Agentur. Wer wächst, kann in Talente und neue Geschäftsfelder investieren, hat eine vitalere Kultur und kann sich auch mal das eine oder andere kreative Experiment leisten.
Kein Sportler kann jeden Wettkampf gewinnen. Kannst du mit Niederlagen gut umgehen?
Das Gegenteil von verlieren kann auch finden sein. Die Bereitschaft herauszufinden, was man besser machen kann, ist für mich das Wichtigste nach jedem Wettbewerb. Ich denke, dass ich über die Jahre gelernt habe, mit Niederlagen professionell und fair umzugehen.
Die Thematik Pitch wird nicht mehr so wie noch vor ein paar Jahren hochgekocht. Verhalten sich Agenturen aber auch Auftraggeber fairer als noch vor Jahren?
Der Leitfaden für die Evaluation einer Agentur ist eines der Verdienste von leading swiss agencies, dem Verband der führenden Agenturen. Die meisten Auftraggeber wissen, dass sie mit einer klugen Evaluation Ressourcen und Zeit sparen und zu einem bedeutend besseren, nachhaltigen Resultat kommen.
Was unterscheidet den jungen Frank vom jung gebliebenen Frank?
Mehr Erfahrung, weniger Unbedarftheit. Mehr Nachdenklichkeit, weniger Gedankenlosigkeit. Mehr Kinder – meine vier Kinder Leonie, Manon, Jan und Ayleen halten mich jung, vor allem meine Jüngste, die vor Energie und Lustigkeit strotzt. Und ich enerviere mich nicht mehr so, dass ich USM Regale zerstöre oder Kollegen mit Bürostühlen bewerfe. Im ADC Switzerland wurde mir auch schon mal Altersmilde vorgeworfen – vielleicht ist es einfach etwas mehr Respekt und Weitsicht.
Auf mich wirkst du in dich gekehrt und geerdet. Was bringt dich auf die Palme?
Ungerechtigkeit, Intoleranz, Undankbarkeit, Dummheit. Und Kokosnüsse.
Deine wahre Liebe gehört der Musik. Wie viel Zeit verbringst du mit ihr?
Zu wenig. Und ich bin ja auch nicht mehr geübt und wirklich gut darin. Eine Beethoven-Sonate einigermassen sauber und eigen zu spielen ist aber trotzdem nach wie vor eine Freude. Und die grösste Freude ist, eigene Musik zu erschaffen.
Deine Liebe zur Oper ist bekannt. Die Zeit in der Oper ist eine Art Parallelwelt, in die man während zwei bis drei Stunden eintauchen kann. Kannst du gerade den jungen Lesern verraten, was diese verpassen, wenn sie nie eine Oper besucht haben?
Das erinnert mich, endlich mal wieder in die Oper zu gehen. Auch wenn Opernregie einmal mein Berufsziel war, habe ich ein eher ambivalentes Verhältnis zum oft etwas in die Jahre gekommenen Musiktheater. Egal, ob Oper oder Konzert: Die klassische Musik hat in sich eine Schönheit und Tiefe, die ich in keiner Musik sonst finde. Diese Tiefe zu ergründen, sich ihr hinzugeben, tut mir gut. Ich kann darum nur empfehlen, das einfach einmal auszuprobieren. Es gibt nichts zu verstehen. Es ist wie Achterbahnfahren: Ticket lösen und los geht’s.
Deine Zeit in der Staatsoper Hamburg, als du Rolf Liebermann assistieren durftest, muss unglaublich gewesen sein?
Rolf Liebermann war sicher einer der grössten Intendanten überhaupt. Dank ihm durfte ich mit Regisseuren wie Giancarlo del Monaco und Bob Wilson arbeiten. Eine lehrreiche Zeit – zum Beispiel habe ich gelernt, Passion mit Willen zu kombinieren. Auch dem Willen, scheinbar Unmögliches möglich zu machen.
Die Geburt deiner heute 24 Jahre alten Zwillinge hat deine musikalische Laufbahn verändert. Da du Geld für deren Unterhalt brauchtest, hast du damals als Texter angefangen. Im Leben ist nicht alles planbar, was aber gut so ist. Wie siehst du das?
Ich wurde mehrmals im Leben zum Glück gezwungen. Dafür bin ich dankbar. Martin Luther King sagte „I have a dream“, nicht „I have a plan“. Das grösste Glück und die besten Kreationen an denen ich beteiligt war, sind meine Kinder. Der Plan war übrigens, ein, zwei Jahre Werbung zu machen bis die Zwillinge laufen können, um dann wieder zum Musiktheater zurückzukehren. Aber die Werbung und die Möglichkeiten des Marketings haben mich dann derart fasziniert, dass ich dem Theater in der Agentur den Vorzug gab.
Deine Tochter Manon (hier im Interview) strebt auch eine musikalische Karriere an. Sie hat unbestritten grosses Talent und eine tolle Stimme. Was ist das Wichtigste, das du deinen Kindern mit auf den Weg gegeben hast?
Da musst du sie fragen, was von meinen väterlichen Ratschlägen hängen geblieben ist. Ich habe ihnen nie meine Vorstellungen aufzwingen wollen. Ich bin glücklich, dass Manon (Bild unten) und Leonie heute auf eigenen Beinen stehen und ihren eigenen Weg suchen und finden. Dafür benötigt es Offenheit, Neugierde, manchmal auch eine Portion Härte, Respekt. Und wenn nun eines meiner Babys als erwachsene junge Frau vor mir auf der Bühne steht und vom Leben und der Liebe singt, dann berührt das natürlich schon auf eine besondere Art mein Musikerherz und meinen Vaterstolz.
Du engagierst dich seit Jahren beim ADC und bist sogar Präsident des Kreativ-Clubs. Warum ist der ADC eine Herzensangelegenheit für dich?
Meine erste Berührung mit der Werbewelt war eine ADC-Gala, wo ich mir dann sagte: Das kannst du auch, und besser. Die Schweiz hat keine nennenswerten Bodenschätze wie Öl oder Diamanten. Das grösste Kapital der Schweiz ist die Kreativität. Schweizer Plakatkunst, Schweizer Graphic Design, Schweizer Architektur, Schweizer Typographie, Schweizer Werbung gehören dazu. Da ist unser Land Weltklasse. In der Werbung ist allerdings das Problem, dass selbst die grössten Schweizer Agenturen zu klein sind, um alle Disziplinen aus einer Hand auf globalem Top-Niveau anbieten zu können. Wenn global tätige Schweizer Unternehmen für Werbung lieber nach London, Paris oder New York fliegen, dann hungert das die hiesigen Agenturen aus bzw. haben wir nicht das notwendige Volumen, um in neue Disziplinen zu investieren. Dabei wären global tätige Unternehmen in der Schweiz gut beraten, mit Agenturen in der Schweiz zu arbeiten. Zum Beispiel die Uhrenindustrie. Bezüglich der Förderung der kreativen Qualität spielt der ADC Switzerland eine Schlüsselrolle. Nicht nur indem er kreative Leistungen diskutiert und juriert. Sondern vor allem auch, indem der ADC mit Ausbildungsprogrammen wie dem zertifizierten CAS der AdSchool oder dem Young ADC viel für die Förderung von kreativen Talenten tut. Davon profitieren letztendlich wiederum die Auftraggeber. Und dann bietet der ADC natürlich unterschiedliche Plattformen, wo sich Kreative aus unterschiedlichsten Bereichen interdisziplinär austauschen können. Diesen Transformationsprozess zur heutigen bedeutend moderneren und diversifizierten Vereinigung der führenden Kreativen der Kommunikationswirtschaft vorwärts zu treiben, macht mir Freude. Und den Mitgliedern und Partnern des ADC gefällt die Arbeit offensichtlich auch.
In diesem Jahr gab es sehr wenige Neumitglieder. Wollt ihr ein Stück weit elitär bleiben? Oder was sind die Gründe dafür?
Mitglied kann nur werden, wer eine ganze Reihe ausgezeichneter Arbeiten vorzuweisen hat. Das hat nichts mit elitär zu tun, sondern einzig mit Exzellenz. Quoten kennen wir keine. Es war nie und es wird nie einfach sein, ADC-Mitglied zu werden. Nicht nur weil die Aufnahme eine lebenslange kreative Adelung bedeutet, sondern weil die Mitglieder ja auch mitverantwortlich sind für die Qualität der Jurierung oder zum Teil auch als Dozentinnen und Dozenten an der AdSchool.
Das neue Jahr steht vor der Tür. Möchtest du eher ein Stück weit zurücklehnen und vermehrt der Dirigent oder doch lieber der Stargeiger sein?
Ob dirigieren oder werben – Niveau lässt sich nicht mit zurücklehnen erreichen. 2017 wird wieder brutal hart.
© Interview: Yves Seiler
Johnny Tienne A.
allargare con passione! johnny tienne