Die richtige Strategie ist das Fundament einer erfolgreichen Kampagne. Aber was machen die Strategen während ihrer täglichen Arbeit? Auf was für Hilfsmittel greifen sie zurück und wie sieht die Zusammenarbeit zwischen Strategie und Kreation aus? Diesen Fragen wollte ich auf den Grund gehen und dabei ist ein sehr ausführliches und spannendes Interview entstanden, welches wir in zwei aufeinander folgenden Newslettern veröffentlichen werden.
Den ersten Teil finden Sie nachfolgend, der zweite Teil erscheint in ca. 3 Wochen. Für das Interview standen mir Gordon Nemitz (Executive Strategy Director bei Wirz) und Ester Elices (Head of Strategic Planning bei Publicis) zur Verfügung.
Ihr beide arbeitet in einer Grossagentur (Wirz und Publicis) und seid für die Strategie verantwortlich. Wie hoch ist der Stellenwert der Strategen innerhalb der Agentur?
Gordon: Wirz hat eine sehr lange strategische Tradition und daher ist es nicht verwunderlich, dass die Strategie auch heute einen sehr hohen Stellenwert einnimmt. Diese Wertschätzung zeigt sich sowohl in der Grösse der Abteilung als auch innerhalb unserer Prozesse. So arbeiten wir auf allen Projekten mit einem Kernteam aus Beratung, Kreation und Strategie kollaborativ und ohne Kompetenzgerangel miteinander.
Ester: Strategie ist natürlich bei Publicis ein grosses Thema. Wir sind involviert, je nach Bedarf. Unser globales Agentur-Motto Lead the Change hat eine starke strategische Basis und manifestiert sich unter anderem in einem globalen jährlich stattfindenden «Publicis-Effie», bei dem die Gewinner in Cannes vorgestellt werden.
Wie sieht bei euch ein normaler Arbeitstag aus? Seid ihr an vielen Meetings oder verbringt ihr viel Zeit im Internet und mit irgendwelchen Zahlen?
Ester: Das ist unterschiedlich. An manchen Tagen kommt man aus den Meetings nicht mehr raus, an anderen sitzt man nur mit den Krea-Teams zusammen und feilt an den Ideen. Und ja, an anderen Tagen wühlt man sich ausschließlich durch Daten- und Informationsberge.
Gordon: Da ich ja nicht nur das strategische Department führe, sondern auch in der Geschäftsleitung bin, gibt es wenige meeting-freie Tage. Dazwischen bin ich aber bei konkreten Projekten involviert und wühle mich durch Statistiken, Studien und Sonstiges auf der Suche nach spannenden Insights.
Muss ein guter Stratege ein Zahlenfreak sein?
Gordon: Im Studium habe ich die Statistik-Vorlesung immer geschwänzt. Aber mittlerweile kann ich bei einer spannenden Kreuztabelle schon ganz schön emotional werden. Ich glaube es braucht da ein gutes Gleichgewicht aus Versessenheit für Zahlen und Bauchgefühl.
Ester: Ich habe die Vorlesung nicht geschwänzt – aber unterhielt mich gerne mit meinen Sitznachbarn. Aus diesen Vorlesungen gingen auch einige gute Freundschaften hervor. Anyway, eine gewisse Affinität zu Zahlen muss man schon haben, viel wichtiger ist aber, dass er oder sie offen für Neues ist.
Wie nahe liegt die Arbeit der Strategen bei der Arbeit eines Marktforschers?
Gordon: Marktforschung bzw. Research ist ein essentieller Teil unserer Arbeit. Es bildet die Grundlage für die Suche nach Insights. Daher muss man als Stratege eine Leidenschaft dafür haben, sollte aber auch die Ergebnisse und Erkenntnisse der Marktforscher kritisch hinterfragen. Schliesslich bietet Marktforschung dann doch nur die Grundlage und nicht die Antwort.
Ester: Der Stratege kommt ja ursprünglich aus der Marktforschung. Es ist heutzutage ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit – aber nicht der Wichtigste. Viel wichtiger ist, die richtigen Fragen zu stellen und aus den Antworten spannende Insights zu generieren.
Was ist denn die wichtigste Eigenschaft eines guten Strategen?
Gordon: Er muss gegen Automatismen kämpfen wollen. Denn je länger man diesen Job macht, desto mehr hat man gesehen und desto eher hat man das Gefühl, man kann aus der Erfahrung die Antwort für jede Frage ableiten. Stattdessen braucht es immer einen frischen Blick und einen unvoreingenommenen Geist. Nur so kann man auf inspirierende Gedanken kommen, die die Grundlage für brillante Strategien bilden können.
Ester: Bin absolut damit einverstanden. Neugierde ist auch extrem wichtig, nur so lässt sich auch die Fülle an Informationen verdauen.
Und was zeichnet eine gute Strategie aus?
Ester: Sie muss längerfristig anwendbar sein. Wichtig auch, dass sie nicht nur auf der obersten Unternehmensstufe funktioniert, sondern ohne grosses Hinbiegen auf Produkte und verschiedene Unternehmensbereiche.
Gordon: Sie ist auf den ersten Blick ganz einfach, logisch und nachvollziehbar. Sie erzeugt beim Betrachter sozusagen den «Na-Klar-Effekt». Auf den zweiten bzw. genaueren Blick sieht man ihr dann aber den Schweiss, die Akribie und die Klugheit an, mit der sie gedacht wurde.
Mit was für Tools arbeitet ihr? Gibt es Programme, welche eure Arbeit erleichtern?
Gordon: Google Docs oder andere Collabo-Tools helfen, im Team besser Ping-Pong zu spielen. So kann man für sich in Ruhe denken, bleibt aber immer verbunden und offen für Reflektion.
Ansonsten haben wir ein eigenes Workshop-Konzept erarbeitet, mit dem wir kommunikationsstrategische Fragestellungen strukturiert angehen können. Im Idealfall natürlich in der engen Zusammenarbeit mit unseren Kunden.
Wenn man Strategie googelt, dann sagt Wikipedia, dass es Feldherrentum, Feldherrenkunst bedeutet. Seid ihr Feldherren?
Ester: Überhaupt nicht. Wenn, dann haben wir den Job total missverstanden. Wir bringen die nötigen Informationen zusammen und schlagen mögliche Lösungen vor. Gemeinsam entscheiden wir aber, welche Richtung wir wahrnehmen.
Gordon: Nein, sicher nicht. Zum einen nicht, weil, wenn wir mal einen Fehler begehen, zum Glück niemand ernsthaft verletzt wird. Und zum anderen nicht, weil ich mich viel mehr als Teil eines starken Teams verstehe, dass knietief im Operativen steht, statt vom hohen Ross herab Befehle zu erteilen.
Eines ist klar: eine Strategie sollte langfristig sein. Wie langfristig denkt ihr, wenn ihr an einer neuen Kampagne arbeitet?
Gordon: Strategien sollten immer aus einem klaren Bewusstsein der Historie der Marke entwickelt werden, um die wichtigsten Fragen für deren Zukunft zu beantworten. Daher denken wir grundsätzlich eigentlich immer langfristig. Eine genaue Zeitspanne für diese Langfristigkeit zu definieren, fällt mir aber schwer. Anders sieht es hingegen bei Projekten aus, die ein klares kommunikatives Zeitfenster haben. Da darf man ruhig auch mal strategisch kurzfristiger agieren.
Werbung sollte in den meisten Fällen verkaufen und ist zukunftsgerichtet. Wie wichtig ist für euch die Vergangenheit?
Ester: Wenn die Vergangenheit sich positiv auf die Gegenwart/Zukunft der Marke auswirkt, dann ist diese sicher sehr wichtig. Es kann aber schon sein, dass man aus Nostalgie-Gründen an dieser festhält, aber sich in der Gegenwart keine adäquate Umsetzung mehr finden lässt. Und es kann auch sein, dass bestimmte Zielgruppen die Markenvergangenheit schlichtweg nicht interessiert.
Gordon: Da kommt die Marke her. Da finden sich die Erfahrungen, die die Menschen mit der Marke gemacht haben. Die Erlebnisse, die das Markenbild geprägt haben. Und darin liegt mitunter auch Vieles begründet, was das heutige Problem einer Marke erklärt. Daher ist es von ungemeiner Bedeutung, der Vergangenheit genügend Aufmerksamkeit zu widmen. Ohne natürlich den Blick für die Zukunft zu verlieren.
Findet ihr, dass die Arbeit der Strategen genügend gewürdigt wird? Bei den Award-Shows stehen meistens die Kreativen zuvorderst auf dem Podest.
Gordon: Was dem Kreativen der ADC, ist dem Strategen der Effie. Auch wenn ich sagen muss, dass dort der Kreation eine zu grosse Bedeutung beigemessen wird. Wenn eine Kampagne für ein Reinigungsmittel auf einer starken Strategie basiert und mit der daraus resultierenden Kampagne nachweislich gut verkauft, dann sollte so etwas auch Platz beim Effie haben dürfen. Denn letztendlich zählt für uns Strategen ja der Erfolg, den eine Kampagne bei den Konsumenten hat. Um diese zu begeistern, machen wir unseren Job. Und nicht für eine Award-Jury.
Ist die Differenzierung zwischen Kreativen und Strategen überhaupt sinnvoll? Kreativ ist schliesslich ein Jedermann(-frau)?
Gordon: Denken kann ja auch jeder und trotzdem ist nicht jeder ein Stratege. Ich glaube vielmehr, dass wir alle unterschiedliche Stärken und Fähigkeiten haben. Und genau diese Stärken sollten wir miteinander kombinieren. Welche semantische Differenzierung man dann noch auf Visitenkarten drucken will, ist hingegen zweitrangig.
Ester: Natürlich macht es die Sache einfacher, wenn ein Kreativer strategisch denkt und umgekehrt. Nichtsdestotrotz erlebe ich bei der täglichen Arbeit, dass Kreative die Jobs anders angehen, andere Fragen stellen, bildlicher vorgehen und alle Faktoren führen dazu, dass wir schlussendlich eine auf allen Ebenen runde Lösung entwickeln.
Was könnt ihr während eurer täglichen Arbeit überhaupt nicht ausstehen?
Gordon: Das mag ich nicht: Timings, die keinen Raum lassen. Menschen, die fragen ohne zu denken. Powerpoint-Slides, die hüpfen. Und Kunden, die sich hinter Marketing-Buzzwörtern verstecken. Das mag ich: Aufgaben, die fordern. Teams, die einander bereichern. Insights, die rocken. Und Kunden, die Diskussionen mögen.
Ester: Das mag ich nicht: Briefings, die keine sind. Analysen, die keine Basis haben. Schlussfolgerungen, die keine sind. Das mag ich: Das Zusammenspiel zwischen Beratung, Kreation und Strategie. Mein Team.
Bei Awards gewinnen häufig Kampagnen, welche einen sozialen Aspekt mitberücksichtigen. Wird dieser Trend weiter anhalten?
Gordon: Bei solchen Kampagnen fällt es relativ schwer, dagegen zu sein. Denn niemand mag Aids, Hunger, Ausgrenzung oder Nazis. Daher haben es solche Cases grundsätzlich immer einfacher. Aber ganz unabhängig von Awards finde ich es wichtig, dass wir immer versuchen sollten, unser Können nicht nur in den Dienst von grossen FMCG-Marken zu stellen, sondern eben auch unserer Gesellschaft etwas zurück zugeben. Auch wenn es ihr nur die Augen für die Missstände in unserer Welt öffnet.
Wie eingangs erwähnt, arbeitet ihr in Agenturen mit über 100 Mitarbeitern. Davon arbeiten jeweils ca. 3 – 5 Personen in der Strategie. Warum nur so wenige?
Gordon: Weil diese Teamgrösse aktuell meist reicht, um die strategischen Fragestellungen der Kunden und der Agentur vollumfänglich zu beantworten. Damit es mehr werden könnten, müssten noch mehr Kunden der Strategie eine grössere Bedeutung zumessen und die Agenturen das Businesspotential der Strategie jenseits des Creative Plannings erkennen.
Ester: Natürlich spielen Kosten eine grosse Rolle. Nichtsdestotrotz muss man sich die Einsatzdauer eines Strategen in einer Kommunikations-Agentur vor Augen führen. Wir können und sollten nicht immer dabei sein. Somit reduziert sich die Anzahl an Strategen automatisch. Eine auf ausschließlich Strategie basierte Agentur hat Strategen, die auch andere Aufgabengebiete meistern müssen.
Strategie kann man zwar erlernen, ein Grossteil ist Talent. Wie seht ihr das?
Gordon: Es braucht ein gewisses Rüstzeug und das kann man lernen. Zu der Zeit als ich ins Planning eingestiegen bin, war die Disziplin noch recht jung und es gab keine gezielte Ausbildung. Damals lief das meist über ein Studium in Wirtschaft, Soziologie oder Psychologie und dann viele, viele Praktika. Heute hat die Branche reagiert und bietet hier in der Schweiz mit dem Lehrgang Strategie an der AdSchool eine ganz spezifische Fortbildungsmöglichkeit. Aber Talent braucht man trotzdem noch. Aber da unterscheidet sich der Job als Stratege auch nicht von irgendeinem anderen Job.
Wann war euch klar, dass ihr dieses nötige Talent habt? Seit wann seid ihr Strategen?
Gordon: Während des Studiums habe ich ein Praktikum in der Beratung gemacht und recht schnell gemerkt, dass mir hier das entsprechende Talent fehlt. Mein damaliger Chef meinte, dass die Strategie vielleicht etwas für mich sein könnte. Ob er das nur gesagt hat, weil er mich als Berater so schlecht fand, weiss ich nicht. Aber ich bin seinem Rat gefolgt und habe bei &Equity in Hamburg angeheuert. Das war 2001.
Ester: Ich fing nach zwei Jahren Studium als Pressesprecherin vom Schauspielhaus Zürich an. Meine Chefin war die Chef-Dramaturgin Stephanie Carp. Jeder der sie kennt, weiss wie hart sie für ihr Theater kämpft und wie strategisch sie vorgeht. Von ihr habe ich unglaublich viel gelernt. Meine erste richtige Strategie-Stelle war bei Young & Rubicam Zürich unter der Leitung von Caspar Coppetti. Das war 2006.
Von wem habt ihr euer Handwerk erlernt? Wie hiess die Agentur, in welcher ihr das erste Mal im Planning gearbeitet habt?
Gordon: Bei &Equity habe ich meine ersten Strategie-Schritte gemacht und viel von Cordula Krüger, der Grand Dame des Deutschen Plannings, und von Panja Grünewald gelernt, die heute die Strategy Group von S&F führt. Später durfte ich dann bei Jung von Matt noch mit Karen Heumann und Michael von Bach zusammenarbeiten, die mich wohl am meisten geprägt haben.
Ester: Wie gesagt, Stephanie Carp, Caspar Coppetti, aber sicher auch noch andere wie Markus Gut, Andreas Widmer und dann wurde ich Head of Strategy bei Y&R Madrid.
Wer hat in der Schweiz am meisten für die Strategie gemacht?
Gordon: Ich glaube, dass vor allem die APGS einen grossen Teil zur Entwicklung der Strategie in der Schweiz beigetragen hat. Die Gründung des Verbandes von Cary Steinmann und Peter Felser war der erste wichtige Schritt. Aber auch der heutige Vorstand rund um Ester und ihren Vorgänger Rainer Bühler hat seinen Teil dazu beigetragen. Wir verstehen uns weniger als ein Verband, sondern vielmehr als eine Austauschplattform, die Wissen teilt und weitergibt, die Inspiration bietet und Diskurs kultiviert.
Ester: Und klar zum Ziel hat den Nachwuchs zu fördern. Es ist ein Fact, wir haben wenig Strategen in der Schweiz und zur Auswahl und sind noch bei potentiellen Jung-Strategen noch zu wenig bekannt.
Teil 2 des Interviews folgt bei der Versendung des nächsten Newsletters.
© Interview: Yves Seiler