Seiler's Werbeblog

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J_R_von_Matt

Jean-Remy von Matt «Der Marathon Mann»

Wir Schweizer dürfen auf vieles Stolz sein. Wir sind ein anständiges und fleissiges Volk und leben in einem Land, welches von vielen Menschen bewundert wird. Unser Land hat viele gute und mutige Unternehmer, weltbekannte Firmen, anerkannte Künstler und wir haben Jean-Remy von Matt. Für all jene, denen dieser Name nichts sagt: Jean-Remy von Matt ist einer der bedeutendsten Werber unserer Zeit. 1975 ist er nach Deutschland ausgewandert, um Jahre später ein Agentur-Netz aufzubauen, welches bis heute zu den kreativsten der Welt gehört. In diesem Jahr feiert Jean-Remy von Matt sein 40-jähriges Jubiläum als Kreativer und beschäftigt rund 1200 Mitarbeiter. Das Spezielle daran ist, dass es sich bei Jung von Matt um eine inhabergeführte Agenturgruppe handelt, welche keinem Netzwerk angehört. In deutschen Medien wird Herr von Matt als Popstar bezeichnet. Mit Bestimmtheit ist er das, dies aber ohne Allüren.

1. Sie sind in Brüssel zur Welt gekommen, Ihre Mutter ist Belgierin, Sie haben die Schweizer Staatsbürgerschaft und leben seit 40 Jahren in Deutschland. Als was fühlen Sie sich? Welchem Land sind Sie am meisten verbunden?
Inzwischen ist ganz klar Deutschland meine Heimat. Meine Frau und meine Kinder sind Deutsch. Ich trinke Deutsches Bier und fahre Deutsche Autos. Und es gibt überhaupt keinen Plan, hier jemals wegzuziehen.

2. 1975 sind Sie nach Deutschland ausgewandert. Auf Jean-Remy von Matt hat im Nachbarland niemand gewartet. Was waren Ihre Beweggründe für den Umzug nach Deutschland?
Wenn man so will, war es Zufall bzw. noch präziser eine Notlage. Nach der Ölkrise 1974 war die Werbebranche am Boden und es wurde kaum jemand gesucht. Deshalb hatte ich mich auch in Deutschland und Österreich beworben. Und in Düsseldorf dann einen Job als Juniortexter bekommen.

3. Ich finde es unglaublich und auch schade, dass Sie in der Schweiz nicht die Anerkennung erhalten, welche Sie verdienen. Warum haben Sie ein gespaltenes Verhältnis zur Schweiz, insbesondere zur Schweizer Werbeszene?
Da ich nicht so viele Kontakte in die Schweiz habe, ist mir das nicht so bewusst. Ich freue mich aber, dass unsere Agentur als mehrfache „Independent agency of the year“ weltweit viel Anerkennung bekommt. Da fällt auf mich als Gründer und Kreativchef natürlich auch etwas ab.

4. Wie stark sind Sie in das Tagesgeschäft eingebunden? Sind Sie hauptsächlich in Management-Angelegenheiten involviert? Oder besteht Ihre tägliche Arbeit in der Entwicklung von neuen Kampagnen?
Ich bin nach wie vor in sehr vielen Funktionen aktiv – auch nach wie vor im kreativ Handwerklichen. Aber ich habe von Anfang an darauf verzichtet, in Credits genannt zu werden, damit von aussen nie erkennbar wird, auf welchen Etats ich mitwirke.

5. 1991 haben Sie mit Holger Jung «Jung von Matt» gegründet. Das Unternehmen ist in der Zwischenzeit ein Koloss geworden. War das Wachstum stets Teil Ihrer Strategie?
Wachstum war nie unser Ziel. Im Gegenteil haben wir immer gesagt: Nichts zwingt uns zur Grösse, alles zwingt uns zur Qualität. Aber wenn sie die über einen langen Zeitraum konsistent liefern, entsteht Grösse, ob sie das forcieren oder nicht. Allerdings glaube ich auch an die Regel: Was nicht wächst ist tot.

6. Ihr Agentur-Mitgründer Holger Jung widmet sich lieber dem Gitarrenspiel und ist kürzer getreten. Der Legende nach haben Sie sich beim Scheidungstermin von Ihnen und Ihrer damaligen Frau kennengelernt. Herr Jung war Ihr Nachfolger und mit Ihrer Frau zusammen. Stimmt diese Geschichte?
Ja.

7. Sie beschäftigen über 1000 Mitarbeiter und betreiben 24 Tochtergesellschaften. Welcher Unternehmensführung folgen Sie? Was sagen Ihre Angestellten zu ihrem Chef?
Wir leben in unserer Firma einen pragmatischen, unkomplizierten Umgang. Ein Beispiel: Vor einiger Zeit lief ich morgens durch unseren Empfang und eine Mitarbeiterin, die ich noch nie gesehen hatte, rief: «Hey Jean-Remy, gehst Du nach oben? Kannst Du diese drei Pakete mitnehmen?» Da wusste ich: In dieser Firma arbeite ich gerne noch lange!

8. Sie selber wirken extrem jung und frisch. Ist es das kreative Umfeld, in welchem Sie sich bewegen oder gibt es ein anderes Erfolgsgeheimnis?
Henry Ford hat gesagt, dass jeder Mensch, der aufgehört hat zu lernen, alt ist. Und umgekehrt jeder der noch lernt jung. Es gibt in den letzten Jahren in unserem Job so viel zu lernen, dass man gar nicht alt werden kann, wenn man einigermassen mithalten will. Ausserdem rauche und trinke ich nicht.

9. Zwei Brüder gehören zu den bekanntesten Werbern des Landes; Sie sogar international. Wie können Sie sich diesen Doppel-Erfolg erklären? Waren Ihre Eltern schon kreativ?
Mein Vater stammt aus einer Familie, in der Kreativität einen hohen Stellenwert hatte – mit Verwandten, die Bildhauer, Fotografen, Literaten und dergleichen waren. Meine Mutter wiederum war die Lösungsorientierung in Person, nie um eine Idee verlegen, eine überraschende Lösung zu finden.

10. Für Kinder ist es nicht immer einfach, einen erfolgreichen Vater zu haben. Hat eines Ihrer Kinder auch Ambitionen und Talent in Vaters Fussstapfen zu treten?
Zum Glück nicht! Ich möchte, dass sie etwas Anständiges werden. Mein älterer Sohn studiert in St. Gallen BWL, mein jüngerer bereitet sich gerade auf das Abitur vor.

11. Mit Heimat, Thjnk, Kolle Rebbe hat es in Deutschland sehr interessante Agenturen. Wie ist das Verhältnis untereinander? Es gibt sicherlich viele Jung von Matt Sprösslinge, welche nun selber erfolgreich unterwegs sind?
Das Verhältnis zu allen genannten Agenturen ist sehr freundschaftlich und ich treffe mich mindestens einmal pro Woche mit einem Wettbewerber zum Essen. Ich bin auch stolz, dass wir mit fast allen Ehemaligen nach wie vor sehr im Reinen sind. Übrigens sind über 60 JvM-Mitarbeiter Rückkehrer, also schon mal bei uns gewesen.

12. Jung von Matt ist die kreativste Agentur in Deutschland, gefolgt von Serviceplan. Das Interessante daran ist, dass die jeweiligen Agenturinhaber aus der Schweiz kommen. Wie können Sie sich diese Tatsache erklären?
Zufall. Plus vielleicht ein paar Tugenden wie Fleiss, Disziplin und Verlässlichkeit.

13. Es gibt immer mehr Awards mit zusätzlichen Kategorien. Wie stehen Sie diesem ganz normalen Wahnsinn gegenüber?
Nach sieben Jahren Nr. 1 in Folge haben wir vor zwei Jahren beschlossen, diesen Wahnsinn, der die Agentur jedes Jahr weit über eine Million Euro kostet, nur noch jedes zweite Jahr mitzumachen. Mit der Ersparnis haben wir die JvM-Academy gegründet, die unseren kreativen Nachwuchs schult und die im deutschsprachigen Raum einzigartig ist.

14. Welche Personen haben Sie auf Ihrem Weg nachhaltig geprägt und beeinflusst?
Zunächst meine Mutter, dann die amerikanischen ADC-Bücher, die mir mein Vater jedes Jahr zu Weihnachten schenkte, später Manfred Riemel, mein wichtigster Boss, und schliesslich unser Kunde Erich Sixt, den ich jetzt schon seit über 30 Jahren betreue.

15. Sie haben Hamburg als Epizentrum der kreativen Kommunikation bezeichnet. Die Hanseaten sind eigen und die Stadt eine traditionelle Kaufmannstadt. Warum sehen Sie Hamburg als Epizentrum der Kreativität an und nicht zum Beispiel Berlin?
Berlin ist eine Stadt mit hohem Magnetismus, in der sehr viel Inspirierendes passiert.  Dagegen ist Hamburg eher ruhig und etabliert. Dennoch sind in Hamburg nach wie vor die kreativsten Agenturen, was schlicht und einfach daran liegt, dass «Werbeschulen» wie Scholz & Friends, Springer & Jacoby und auch wir hier gegründet wurden.

16. Sie haben einen Background als Werbetexter. Warum ist das Verständnis nach gutem Text derart wichtig für eine erfolgreiche Werbekarriere?
Die Relevanz von Text ist in der digitalen Welt stark angewachsen. Denken Sie dran, dass die grössten Plattformen wie Google, Facebook oder Whats App alle auf Text basieren. Noch vor zwei Jahrzehnten hat kaum ein junger Mensch einen Brief geschrieben, heute schreibt er pausenlos.

17. Sie haben sich schon abschätzig über Blogs geäussert und diese als Klowände des Internets bezeichnet. Wie stolz darf ich sein, dass Sie mir ein Interview geben?
Zunächst bin ich stolz, dass ich es mit diesem Zitat bis in die New York Times geschafft habe. Und zwar deshalb, weil es einen heiklen Aspekt der digitalen Welt trifft – die Meinungsbildung in Schutz der Anonymität. Gemeint waren mit meinem Zitat übrigens nicht Blogs im Ganzen, sondern die Kommentarfunktion, die oft zu Schimpf und Schande animiert.

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Jung von Matt
Glashüttenstrasse 38
20357 Hamburg

www.jvm.com

© Yves Seiler

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