Seiler's Werbeblog

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Livio Dainese Wirz

Livio Dainese «Jedem Medium die richtige Idee»

Livio Dainese habe ich seit längerem auf meinem Interview-Radar. Seine Arbeiten gehören zu den Besten, was die Schweizer Werbung zu bieten hat. Eine Rezension hat dabei für Gesprächsstoff bis über die Landesgrenzen gesorgt. Dass Livio nicht in Schubladen denkt und auch gerne die Idee eines Beraters stehen lässt, zeigt: Livio hat Weitsicht. Im folgenden Interview erfahren Sie mehr zu dieser spannenden Persönlichkeit.

karasek Ikea

1. Bevor du zu Wirz gewechselt hast, warst du Creative Director bei Hinderling Volkart. Was war ausschlaggebend für die Entscheidung zu Wirz zu gehen?
Die Zeit bei Hinderling Volkart war extrem lehrreich. Wir konnten wichtige Pitches gewinnen und hatten mit dem Master beim Best of Swiss Web für die Einführung von UBS E-Banking einen schönen gemeinsamen Erfolg. Dennoch haben wir entschieden, getrennte Wege zu gehen, damit jeder wieder etwas mehr bei seinen Leisten bleiben kann. Das wäre bei Fernando und mir die Lösung von anspruchsvollen Kommunikationsaufgaben durch Plattformen und Ideen. Wirz hatte für mich eine super Basis, inhabergeführt und mit guten Kunden. Die kreative Leitung einer erstklassigen Agentur zu übernehmen, hat mich natürlich gereizt.

2. War die Chance Unternehmer (Livio ist Mitinhaber von Wirz Werbung) bei einer der besten Schweizer Agenturen zu werden, eine deiner Voraussetzungen, welche für ein Engagement gesprochen haben?
Weniger. Das kam dazu und freut mich natürlich. Wichtiger war mir, mitbestimmen zu können. Die Agentur so formen zu können, wie es uns richtig scheint. Ohne zu viele Leute, die reinreden.

3. Deinen Wechsel hast du mit deinem Freund Fernando Perez gemacht, mit welchem du 12 Jahre wilde berufliche Ehe führst. Gibt es euch nur im Doppelpack? Was zeichnet eure Zusammenarbeit aus?
Fernando und ich haben uns vor über zehn Jahren an einem Kopiergerät in der Agentur Lowe zum ersten Mal getroffen. Wir haben «Hallo» gesagt, ich hab gefragt, woher er komme. Er sagte aus Argentinien, ich sagte Argentinien, da will ich auch mal hin. Wer einem so einen Einstieg verzeiht, hat auch sonst einen grossen Charakter. Auf jeden Fall arbeiten wir seit damals zusammen und es gibt auch keinen Grund, das zu ändern. Fernando ist mein Lieblingskreativer und Freund in einer Person. In Argentinien war ich übrigens immer noch nicht.

4. Ursprünglich bist du Onliner. Dein Herz schlägt, wenn für eine Werbeart, dann für Crossmedia. Ist es richtig, dass du nicht in Disziplinen denkst?
Ich habe während dem Studium als Screendesigner in einer Online-Agentur gearbeitet. Das waren meine ersten Erfahrungen in der Kommunikation. In Disziplinen denken tat ich noch nie, egal ob der aktuelle Trend grade Crossmedia, 360 oder sonstwie heisst. Mein Herz schlägt für die Idee, die beste Lösung einer Aufgabe. Einer Idee ist es egal, welche Kleider sie trägt, solange es die passenden sind.

tibits

5. Wo hast du rückblickend mehr gelernt: bei Grossagenturen wie Publicis und Jung von Matt oder bei einem Spezialisten wie Hinderling Volkart?
Ich war sechs Jahre bei Jung von Matt und fühle mich der Agentur bis heute verbunden. So gesehen habe ich vieles von dem, was ich heute kann, da gelernt. Es war meine erste grosse Chance. Dafür bin ich Alex Jaggy und Dominique von Matt bis heute dankbar.

6. Du denkst auch nicht in Hierarchien. Es ist dir egal, ob eine Idee von deinem AD oder einem Berater kommt. Ich finde das toll und auch die richtige Einstellung. Musstest du mit dieser Einstellung zuerst Vorurteile beseitigen?
Aber natürlich ist mir das egal. Das Denken, Berater könnten nur Excel und Kreative seien so furchtbar kreativ, hat mich immer genervt. Jeder Kreative braucht einen guten Berater an seiner Seite. Einen, der mitdenkt und mitdiskutiert. Der spürt, wo die Idee nicht rund ist, wo Probleme auftauchen können. Und jeder gute Kreative hört auf den Berater, auf den Strategen und auf alle andern Spezialisten, die in einer modernen Agentur sitzen. Kommunikation ist Teamarbeit. Und gute Kommunikation entsteht erst durch gute Kommunikation.

7. Du sagst auch, wer gerne die erste Lösung hat, ist bei dir falsch. Ich selber habe bei einem Schul-Diktat (Rechtschreibung von einzelnen Wörtern) immer die erste Lösung stehen lassen, da diese auch vielfach die Richtige war. Was spricht in der Kreation gegen die erste Lösung?
Dann bist du ein Naturtalent. Die erste Lösung kann richtig sein, muss es aber nicht. Das weiss man erst, wenn man auch die zweite und dritte und vierte mögliche Lösung bedacht hat. Und dann vielleicht wieder zur ersten zurückkommt. Was durchaus möglich ist. Eine Idee für deinen Blog könnte doch die Veröffentlichung deiner Aufsätze sein. Ich würde so was lesen. (Livio, es wäre eine Qual.)

8. Deine Vita liest sich gut: ausgebildeter Künstler, ehemaliger Musiker mit abgebrochenem BWL-Studium. Aktuell gehörst du zu den besten Werbern des Landes. Warum ist «Werber» dein Traumberuf?
Liest sich nicht jede Vita eines Werbers gut? Manchmal sogar fast besser als das Portfolio seiner tatsächlichen Arbeiten? ;)

Der Beruf ist darum cool, weil wir jeden Tag die unterschiedlichsten Aufgaben von Kunden aus komplett unterschiedlichen Branchen lösen dürfen. Das kann mal was ganz Kleines sein, das in einer Stunde erledigt ist. Oder aber Kampagnen, an denen wir weit mehr als ein Jahr arbeiten.

Dazu kommen die Leute, ein Haufen Nonkonformisten, die in den meisten anderen Berufen anecken würden. Luke Sullivan beschreibt es in seinem Buch «Hey Whipple, squeeze this» (dem gefühlt besten Buch über unseren Beruf) ungefähr so: «What makes it great are all the knuckleheads. All the people just slightly left of center. This business seems to attract them.» Davon spreche ich auch, wenn ich sage, dass meine liebsten Leute in der Kommunikation die mit einem moderaten Dachschaden sind.

9. Du hast sogar einmal gesagt, dass alle Kreativen einen Dachschaden haben. Ich gebe dir teilweise Recht, wenn man bei Kreativen von Künstlern, Freidenkern, Hippies, Malern und Musikern spricht. Auch wenn du dich nicht als Kreativ-Manager siehst, bist du für mich infolge deiner Position mehr Unternehmer als Künstler. Wie siehst du das?
Mit dem Dachschaden meine ich Beispielsweise die Brüche in der Biographie. Kaum ein Kreativer nimmt den Highway zum Texter oder AD. Viele machen zuvor was ganz anderes. Oder machen daneben noch irgendwas anderes. Leute, die in keinem andern Berufsfeld Erfüllung finden, landen in der Werbung.

Was meine Position angeht, muss ich dich korrigieren. Bei uns sind alle Führungskräfte Spielertrainer, packen selbst an. Wer gerne delegiert und seine Tage damit verbringt, Meetings mit vielen Leuten zu buchen, passt nicht zu uns.

Unsere starke Kreation erlaubt mir zum Glück, selbst immer noch das machen zu können, was ich an meinem Beruf liebe: Ideen zu finden, zu formen und umzusetzen.

10. Du bist Mitinhaber von Wirz und somit für ca. 100 Mitarbeiter mitverantwortlich. Ich glaube diese wären verunsichert, wenn sie hier lesen, dass sich ihr Chef mit einem Dachschaden outet?
Nein, eher bestätigt. Ausserdem haben sie ja alle selbst einen und leben gut damit.

WWF_Wirz

11. Eine Kampagne, welche über die Landesgrenze bekannt wurde, war die für IKEA und die Literaturkritik von Helmut Karasek. Die Kampagne bekam durch den Tod von Herrn Karasek noch mehr Bedeutung und Aufmerksamkeit als zuvor. Wie konntet ihr diese einmalige Persönlichkeit von diesem aussergewöhnlichen Projekt überzeugen?
Mit Telefon und Fax. Helmut Karasek war ein Mann mit einer Riesenportion Humor. Auch im literarischen Quartett sah man ständig den Schalk in seinen Augen. Er hat die Idee und ihre Kraft sofort erkannt. Und fand es selbst wohl am lustigsten das Feuilleton ein wenig herauszufordern.

12. Du fährst gerne Rad, am liebsten alleine und in den Alpen. Warum ist dir die Zeit alleine so wichtig?
Weil es sie kaum gibt vielleicht. Radfahren ist mein Yoga. Wenn ich einen Pass hochkurble, dann kurble ich einfach. Mein Gehirn sitzt derweil in einem Liegestuhl und raucht E-Zigarrre.

13. Sieht man dich bei der Arbeit häufig alleine in deinem Kämmerlein Ideen aushecken? Oder bist du im beruflichen Umfeld ein absoluter Teamplayer?
Ich bin eigentlich selten im Kämmerlein und viel mehr den ganzen Tag auf den Beinen im Gespräch mit den Kreativen oder unseren Kunden. Ideen haben kann man überall, um sie zu schärfen, sollte man sich dann aber schon hinsetzen und konzentriert arbeiten.

14. Musik ist dir sehr wichtig. Seit frühester Kindheit beschäftigst du dich damit. Bist du eher der Rocker, welcher sich an gewisse Songstrukturen hält oder der Jazzer, welcher auch gerne einmal über den Tellerrand blickt und sich von seinen Gefühlen leiten lässt?
A. Für B war ich immer zu schlecht.

15. Dir als passionierter Musiker muss ich die Frage stellen: was hältst du vom Einheits-Klang, welcher aktuell in den Werbekampagnen zu finden ist? Eine Differenzierung über die Musik findet aktuell nicht mehr statt. Meine Kinder zum Beispiel lobten den Coop-Weihnachtssong, auch wenn dieser von Migros stammte.
Ich hoffe, du hast ihnen für ein halbes Jahr das Sackgeld gestrichen. Es ist tatsächlich so, dass Musik für Fernsehwerbung häufig sehr glatt gefeilt und dementsprechend zum Einschlafen ist. Beim Migros Weihnachtslied empfand ich das allerdings anders. Es ist ein totaler Ohrwurm (Livio, ich strich ihnen nicht das Sackgeld, kappte aber den Strom, da die Kinder den Song auch im April noch hören wollten.). Ob man ihn mag oder nicht, ist natürlich Geschmackssache.

16. Einer eurer wichtigsten Kunden ist Migros. Den Kunden konntet ihr dank eurer Kreativität, wie aber auch über Tools wie das Censhare binden. Kennst du dich mit solchen Programmen aus? Wie wichtig ist es, dass ihr mit Censhare einen Vorsprung gegenüber anderen Agenturen habt?
Das eine hat mit dem anderen wenig zu tun. Die Kampagnen, die wir für Migros realisieren, folgen den gleichen Ansprüchen, die Migros für alle Kampagnen hat. Immerhin verantworten wir mit Weihnachten eine der wichtigsten Migros Kampagnen überhaupt. Da nützt uns Censhare gar nichts. Censhare ist unsere Antwort auf das wachsende Bedürfnis unserer Kunden, komplexe Prozesse automatisieren zu können. Das führt zu einer Reduktion von Fehlern und Kosten. Eine gute Agentur braucht heute nebst der besten Strategie, Beratung und Kreation eben auch eine richtig gute, effiziente Produktion. Und das sowohl digital wie auch analog.

17. Wirz wird auch immer mit der Mobiliar in Verbindung stehen. Ist dies euer dankbarster Kunde? Wie stark darf man bei solch einer Erfolgsgeschichte das Erfolgsrezept ändern?
Die Mobiliar war immer so klug, den Kern ihres Erfolgsrezeptes, den Fokus auf den Schadenfall nicht zu ändern. Selbstverständlich sind wir froh, eine solche starke Marke im Portfolio zu haben und mitprägen zu dürfen. Es ist aber auch sehr anspruchsvoll, denn mit jeder neuen Idee für eine Schadensskizze wurde wieder eine gemacht.

18. Ein weiterer toller Kunde ist Mercedes. Hier gab es vor allem in Deutschland viel Geschriebenes zur eigens für Mercedes gegründeten Agentur Antoni. Seid ihr im Kontakt mit den deutschen Kollegen? Was hältst du von dieser besonderen Ehe?
Wir sind vor allem in Kontakt mit den Leuten von BBDO. Wir sind ja Partner dieses Netzwerkes. Gehören zu ihm, ohne ihm zu gehören. Die Arbeiten von Antoni werden mir zeigen, was ich von dieser Ehe halte.

19. Warum ist es derart wichtig, einen Brand wie Mercedes im Portfolio zu haben?
Eine starke, weltbekannte Marke hilft einem, mit seiner Arbeit auch weltweit auffallen zu können. Denn jeder kennt Ikea, Mercedes, smart.

20. Wirz hat drei Standbeine (Werbung, Dialog und Corporate) mit den jeweiligen Spezialisten. Wie eng arbeiten die jeweiligen Units zusammen?
Wir arbeiten dann zusammen, wenn es für ein Projekt Sinn macht. Genauso wie wir mit anderen Partnern zusammenarbeiten, wenn daraus ein Vorteil für das Projekt entsteht. Full-Service-wir-machen-alles auch-das-was-wir-nicht-können ist nicht unser Ansatz. Kommunikation ist heute zu komplex. Wer gute Arbeit machen will, braucht die besten Spezialisten. Ob die nun zur eigenen oder zu einer andern Firma gehören.

21. Kann diese Struktur zu Konkurrenzdenken führen? Im Sinne: die Dialoger machen um 18.00 Uhr Feierabend und wir von der Werbung arbeiten auch samstags?
Ja natürlich. Ich stehe jeden Morgen bei den Kollegen vor der Tür und mache Anwesenheitskontrollen.

22. Du bezeichnest Wirz als Independent Agency. In der Musik sind Independent Labels die Kleinen, welche anders als die Majors ticken. Für mich, der in einer 10-Mann-Agentur arbeitet, seid ihr eher Major als Independent. Wie siehst du das?
Natürlich sind wir eine Independent Agency. Und wie. Wir gehören uns selbst. Uns redet kein amerikanischer Finanzbuchhalter rein, wenn wir einen neuen Wasserspender kaufen oder Visitenkärtli mit Hologramm drucken wollen.

Das hat mit der Anzahl Leute nichts zu tun sondern mit dem Selbstverständnis: Wenn wir eine neue Unit gründen wollen, dann machen wir das. Investieren. Und scheitern darum auch manchmal. Sind aber viel agiler und schneller als all jene, die erst zwanzig Formulare ausfüllen und in die Zentrale schicken müssen.

Mercedes_Benz

23. Einer deiner Ansätze lautet: When the world zigs, zag. Was macht ihr aktuell anders als die anderen?
Der ist leider nicht von mir, sondern von BBH. Wir machen einiges anders. Zum einen haben wir eine grosse Anzahl von Mitarbeitern mit Beteiligungen. Wir haben Journalisten und Drehbuchautoren in unseren Reihen. Und wir haben mehr seniore Kreative, als die meisten anderen Agenturen.

 

© Yves Seiler
Bilder: wirz.ch

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