Vor 30 Jahren ist Markus Ruf in die Werbebranche eingestiegen. Der Mitinhaber und Creative Director von Ruf Lanz gehört seit langem zu den renommiertesten Kreativen der Schweiz. Ruf hat unzählige nationale und internationale Awards gewonnen, dazu zwei Werber des Jahres Titel. In Seiler’s Werbeblog spricht er offen über seine Anfänge, seine erfolgreichen Jahre als Freelancer, seine Haltung zu Pitches und kreativitätshemmende Gruppenorgien.
1. War es für Sie schon immer klar, dass Sie Werber werden möchten oder träumten Sie als Teenager noch von ganz anderen Berufen? Ihr Vater zum Beispiel war Inhaber eines Architekturbüros, welches auf einen Nachfolger wartete.
Als Kind war ich oft bei meinem Vater im Büro. Mich faszinierte die kreative Atmosphäre mit all den Plänen und Modellen. Aber mein Talent lag schon in der Schule in den sprachlichen und musischen Fächern, während ich mich in Mathematik und Geometrie so durchwurstelte. Hätte ich das Architekturbüro meines Vaters übernommen, würde es heute wohl nicht mehr existieren.
2. Wie sind Sie dann auf die Werbebranche gekommen?
Ich war schon immer glücklich mit einem weissen Blatt Papier und einer Handvoll Stifte. In der Schule liebte ich Aufsätze. Ein vorgegebenes Thema und eine Stunde Zeit, die Gedanken schweifen zu lassen. Fast wie in der Werbung: Ein Briefing, für das man in nützlicher Frist eine kreative Lösung finden muss. Anfang der Achtziger Jahre stiess ich dann in einer Buchhandlung zufällig auf ein Jahrbuch des Art Directors Club Schweiz. Ich hatte keine Ahnung, aus was für einer Art Director dieser Club bestand. Aber was ich hier sah, war viel geistreicher als die Werbung, die ich sonst kannte. Spätestens als ich „Toni Joghurt – das im Glas“ entdeckt hatte, wusste ich: In diese Branche wollte ich!
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3. Zu dieser Zeit waren Sie noch in der Ausbildung: Sie gehörten zur letzten Typographie-Klasse in der Schweiz, die im traditionellen Bleisatz ausgebildet worden ist – wieso wählten Sie einen aussterbenden Beruf?
Die Ausbildung erlaubte es mir, meine Lust an der Sprache mit der Leidenschaft für die Gestaltung zu verbinden. Dass der Beruf am Aussterben war, störte mich nicht. Ich betrachtete ihn ja nur als Sprungbrett. Im letzten Ausbildungsjahr bewarb ich mich deshalb mit selbst ausgeheckten Kampagnen bei einigen Zürcher Werbeagenturen – und kriegte einen Job als Junior-Texter.
4. Sie haben rasch Karriere gemacht. Bereits 1989 gewannen Sie bei Publicis den Sonderpreis Text des Art Directors Club (ADC), für eine internationale Swatch-Kampagne. Wie ist es dazu gekommen?
Die Swatch-Werbung bestand damals aus bunten Lifestyle-Bildern und kurzen, atmosphärischen Headlines. Ich tat das Gegenteil. Für eine Qualitätskampagne schrieb ich abenteuerlich lange Geschichten von Leuten, die verrückte Situationen erlebt hatten, ohne dass ihre Swatch Schaden nahm. Der zuständige Berater kriegte Schnappatmung, weil er an die Übersetzungskosten dachte – die Kampagne sollte in 20 Ländern laufen. Aber CD Claude Martin gefiel der ungewöhnliche Zugang zum Thema. Und Nicolas Hayek offenbar auch: Die Kampagne wurde gekauft. Der Sonderpreis vom ADC war dann die Krönung. In der Jury sassen alle, die ich gut fand: Weber, Aebi, Suter, Stalder, Jost, usw. Vor Aufregung ist mir der Würfel an der Preisverleihung fast durch die schweissnassen Hände gerutscht.
5. Schon sehr früh wurden Sie von Top-Agenturen als Freelancer für grosse Kampagnen engagiert. Ist das «Freelancen» etwas, das Sie einem jungen Kreativen empfehlen können?
Nein. Ich habe mich 1994 als Freelancer selbständig gemacht, nachdem ich mir vorher zehn Jahre lang bei Publicis, Advico und GGK einen Namen gemacht hatte. Diese Reihenfolge ist wichtig. Wen man nicht kennt, den bucht man nicht als Freelancer. Und schon gar nicht für die kreativ spannenden Jobs. Junge Kreative sollten versuchen, in einer Top-Agentur unterzukommen und sich dort durchzusetzen – mit Talent, Biss und Leidenschaft.
6. Wie beurteilen Sie Ihre Zeit als Freelancer im Rückblick?
Ich will die Vergangenheit nicht verklären, aber es war schon eine grandiose Zeit. Fast alles, was ich ausheckte, erschien. Als ich 1996 während einer Reise durch Vietnam eine Idee für ein Megaposter fürs Einkaufszentrum Glatt durch den Hotelfax in Hanoi schickte, hing das Plakat bereits am Central, als ich in Zürich ankam. Es war ein Privileg, für Leute wie Ruedi Wyler, Fredy Collioud, Claude Martin oder Christophe Guye zu arbeiten.
7. Im Sommer 2001 haben Sie dann zusammen mit Ihrer ehemaligen Lebenspartnerin Danielle Lanz die eigene Agentur gegründet. Was hat den Ausschlag gegeben?
Danielle und ich haben als Kreativteam schon seit 1994 gerne zusammen gearbeitet, u. a. für SSR-Reisen, das Tagi-Magi, RTL und die Migros. Das hat sich auch nicht geändert, als unsere Beziehung in die Brüche ging – abgesehen vom Trennungsjahr 1999, in dem wir uns gegenseitig hätten auf den Mond schiessen können. 2001 waren wir beide an einem Wendepunkt: Danielle wollte sich in eine Agentur einkaufen, empfand den Preis aber als zu hoch. Ich hatte nach sieben Jahren als Freelancer Lust auf etwas Neues, und dieses Neue konnte nicht darin bestehen, sich wieder anstellen zu lassen. Also beschlossen wir, zusammen die eigene Agentur zu gründen. Hinzu kam, dass wir 1999 und 2000 beide zum Werber des Jahres gewählt worden sind. Das war für die Agenturgründung ein Vorteil, denn es gab den Kunden eine Legitimation, uns einzuladen.
8. Wie verlief das erste Jahr der neuen Agentur?
Es war schwierig. Zwei Monate nach der Agenturgründung passierte 9/11. Wir hatten an jenem Morgen ein Meeting bei der damaligen Gratiszeitung Metropol. Als wir eintrafen, starrten alle auf einen Bildschirm mit rauchenden Türmen. Ich sagte zum Chefredaktor: Guckt ihr während der Arbeit jetzt Katastrophenfilme? Als ich sein Gesicht sah, wusste ich, dass es ernst war. Nach 9/11 wurden viele Budgets gestoppt. Es herrschte eine grosse Verunsicherung, ob und wie man in dieser Zeit kommunizieren sollte. Wir verdienten keinen Rappen und arbeiteten Tag und Nacht. So konnten wir innerhalb eines halben Jahres das NZZ Folio, die VBZ und die Suva gewinnen.
9. Es fällt auf, dass Sie die Kunden überdurchschnittlich lange halten können. Die VBZ und die Suva betreuen Sie seit dem Gründungsjahr, andere namhafte Auftraggeber wie Milch, Bank Coop oder Hiltl schon seit rund 10 Jahren. Wie schaffen Sie diese ungewöhnliche Kundentreue?
Eine Marke zu prägen, braucht neben Kreativität auch Kontinuität. Wer alle drei Jahre die Agentur wechselt, kommt nie zu einer klaren, konsistenten Linie in der Markenführung. Umgekehrt darf eine Agentur natürlich nicht bequem werden. Wir haben einen einfachen Leitsatz: Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht, trägt sie an der falschen Stelle. So überraschen wir unsere Kunden immer wieder von neuem mit guten Ideen, die ihre Marke weiterbringen. Zudem geniessen die bestehenden Kunden klaren Vorrang gegenüber potentiellen neuen Auftraggebern. Dies prägt auch unser Pitch-Verhalten.
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10. Gutes Stichwort: Wie verhalten Sie sich bei Pitch-Anfragen? Legen Sie jedes Jahr ein gewisses Budget auf die Seite, um an gezielt ausgesuchten Pitches mitzumachen?
Nein, wir pitchen kaum noch. Wir erhalten genug Direktanfragen, bei denen man sich – manchmal auch für ein vorgelagertes kleineres Projekt – richtig aufeinander einlässt. Eine Agentur braucht eine gewisse Zeit, um sich in einen neuen Markt einzuarbeiten und die DNA einer Marke zu erfassen. Das ist in der kurzen Pitch-Dauer leider kaum möglich. Pitches sind wie Casting-Shows: Es herrscht eine Riesen-Aufregung, und am Schluss gewinnt oft austauschbarer Mainstream, der niemanden bewegt. Das zeigt schon die Häufigkeit, mit der die Budgets nach zwei, drei Jahren wieder neu ausgeschrieben werden.
11. Sie sind Kunstliebhaber und haben hier bereits einige Ihrer Lieblingskünstler vorgestellt. Wie viel Kunst steckt in einem Ruf Lanz?
Das weiss ich nicht. Kunst ist jedenfalls nichts, das ich auf ihre Verwertbarkeit hin betrachte. Sie gehört einfach zu meinem Leben. Wie Bücher oder Filme oder Reisen. Ich weiss deshalb auch nicht, wie viel Houellebecq, Kubrick oder Kolumbien in unseren Kampagnen steckt.
12. Dieses Jahr haben Sie bereits zwei renommierte Kulturkunden gewonnen, das Museum Haus Konstruktiv und die Tonhalle Zürich. Was darf man hier von Ruf Lanz erwarten?
In beiden Fällen: Kommunikation, die sich nicht damit begnügt, nur jene zu bestätigen, die ohnehin in die Kulturtempel strömen, sondern auch neue Leute dafür zu begeistern versucht.
13. Ihre Kampagnen für die VBZ sind legendär. Dank Kampagnen wie jene mit den Herren Mörgeli und Jositsch konnte Ihr Kunde von Gratiswerbung profitieren. Das Medienecho auf das angesprochene Motiv war enorm. Haben Sie einmal ausgerechnet, was Sie hätten zahlen müssen, um derart viel in den Medien zitiert zu werden?
Das ist schwierig auszurechnen, weil man den redaktionellen Raum ja nicht einfach anhand der Werbetarife berechnen kann. Aber klar ist, dass der PR-Wert den Mitteleinsatz um ein vielfaches übertraf. Wir haben den Hype dann mit einer facebook-App noch verlängert, mit der die User eigene Gegensatzpaare im Tram platzieren konnten – Köppel neben Schawinski, zum Beispiel. Wäre gerade wieder aktuell.
14. Eine andere auffällige Kampagne ist der Suva-Fussballspot, der im letzten Jahr den Gold-Edi – den wichtigsten Schweizer Werbefilmpreis – gewonnen hat. Wie entsteht so ein aufwändiger Film?
Die Suva wollte einen neuen Risikotest zur Senkung des Verletzungsrisikos bei Fussballern bewerben. Wir präsentierten acht verschiedene Konzepte. Darunter die Idee, mit den 45’000 Fussballern, die sich jährlich in der Schweiz verletzen, ein ganzes Fussballstadion zu füllen. Nachdem sich die Suva für dieses Konzept entschieden hatte, feilten wir nochmals lange an den einzelnen Sequenzen und ihrer Chronologie. Gips mit Grips war gefragt, denn wir wollten das Publikum involvieren, ohne zu moralisieren.
15. Und wie lange dauerte es vom Go des Kunden bis zum fertigen Film?
Gut sechs Monate. Der Dreh war buchstäblich Knochenarbeit. Ein grosses Dankeschön an Regisseur Michael Fueter für seine Detailbesessenheit und Produzent Yves Bollag für seine Nervenstärke.
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16. Sogar das Beratungsunternehmen McKinsey & Company liess sich von Ruf Lanz beraten. Worum ging es bei diesem Auftrag?
Um die Rekrutierung von Hochschulabsolventen. McKinsey wollte nicht mehr Bewerber, sondern weniger – dafür die besten. Also liessen wir das Logo weg und verschlüsselten die Telefonnummern als mathematische Formeln, so dass sie nur mit entsprechender Qualifikation zu knacken waren. Dadurch sparte sich McKinsey viel Zeit für das Auswahlverfahren. Und ungeeigneten Kandidaten wurde gleich noch der Frust einer Absage erspart.
17. Welchen Kunden haben Sie noch nicht, finden aber, dass er ausgezeichnet zu Ihrer Agentur passen würde?
Zu Ruf Lanz passen alle Kunden, die mit überraschender, zielgerichtet kreativer Werbung viel Geld sparen wollen. Weil sie in der ganzen Informationsflut schneller auffällt, länger in Erinnerung bleibt und manchmal noch weit über den bezahlten Werberaum hinaus Wirkung erzielt.
18. Gibt es auch Misserfolge. Oder anders gefragt: Wann reüssieren Sie nicht mit Ihren Ideen?
Schwierig wird es, wenn man seine Vorschläge auf einer unteren Hierarchiestufe präsentieren muss und diese dann intern den Weg nach oben antreten. Da werden in vorauseilender Besorgtheit gerne alle Ecken und Kanten wegpoliert. Was die eigentlichen Entscheider am Ende zu sehen bekommen, ist oft eine arg zensurierte Version. Und kein Mensch weiss, ob ihnen die unzensurierte nicht viel besser gefallen hätte. Schon deshalb sollte Werbung Chefsache sein.
19. Wohin soll die Reise mit Ruf Lanz gehen? Streben Sie ein gesundes Wachstum an oder träumen Sie im geheimen von ein wenig mehr Ruhe?
George Lois, einer der legendären Mad Men der Madison Avenue, hat es treffend formuliert: Nur ein Penis wird besser, wenn er grösser wird. Je grösser jedoch eine Werbeagentur wird, je mehr Abteilungen sie hat, je mehr Gruppenorgien sie zulässt, umso verwässerter wird das kreative Produkt. Ich habe schon einige Agenturen ihre Kreativität und ihre Leidenschaft verlieren sehen, durch Wachstum, Fusionen oder Verkauf. Das versuchen wir zu vermeiden.
20. Als ich Seiler’s Werbeblog gründete, waren Sie einer der Ersten, welcher mir geholfen hat. Es gab keine Frage, welche ich Ihnen nicht stellen durfte, dies auch nachts nach 22.00 Uhr. Sind Sie von Natur aus ein hilfsbereiter Mensch?
Nur wenn ich ein Projekt spannend finde und auf der anderen Seite Unternehmergeist und Macherlaune spüre. Das war bei Ihnen der Fall. Was die Uhrzeit betrifft: Hätten Sie morgens um 8 Uhr gefragt, hätten Sie keine Antwort gekriegt. Ich bin nachtaktiv.
21. Geben Sie Ihr Wissen weiter? Zum Beispiel an einer Schule?
Dafür fehlt mir leider die Zeit. Mein Wissen gebe ich in der Agentur an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter – auch eine Art Kreativschule.
22. Gibt es aktuell eine Werbung, von der Sie sagen: «Mist, diese Idee hätte ich gerne selber gehabt»?
Ja, die UBS mit ihrer aktuellen Vorsorgekampagne. Die Filme von Publicis zeigen auf ebenso frische wie subtile Art: Älter werden fängt früher an, als man meint. Das einzige, was mir an der Kampagne nicht gefällt, ist, dass ich fast alle der gezeigten Situationen schon selber erlebt habe.
23. Sie haben sich einmal für ein aussergewöhnliches Testimonial entschieden, indem Sie Uriella für Velohelme engagierten. Die freche Kampagne wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, und das besondere daran war, dass Uriella nicht von einer Doppelgängerin gespielt wurde. Können Sie uns sagen, wie es zu dieser Konstellation kam?
Das war auf der Höhe von Uriellas Popularität. Man wusste von ihr, dass sie ihre schrillen Visionen erst bekam, nachdem sie bei einem Unfall vom Pferd gefallen ist. Wir wollten das Publikum warnen: Ein Velounfall ohne Helm kann ähnliche Folgen haben. Ich rief Uriella im Schwarzwald an und schilderte ihr das Konzept. Sie verstand die Ironie sofort, lachte und sagte nach kurzer Absprache mit Icordo schriftlich zu. Auf parfümiertem Briefpapier mit der unvergessenen Schlusszeile: Ein gnadensreicher Segensstrom möge Sie durchströmen, lieber Herr Ruf, und Ihnen Kraft für ihr weiteres Wirken schenken.
24. Schlussfrage: Die Werbung hat den Vorteil, dass wir für positive und schöne Sachen werben dürfen. Im Moment läuft aber einiges aus dem Ruder, Beispiel Flüchtlingselend. Engagieren Sie sich sozial?
Wir spenden einmal im Jahr einem wohltätigen Unternehmen, das keine Mittel hat, aber die Bereitschaft, etwas zu bewegen, eine Kampagne. Bekannte Beispiele sind unsere Kampagnen für das Blindenwohnheim Mühlehalde, das Autismus Forum Schweiz oder die Stiftung für das Tier im Recht. Das scheint uns ein sinnvoller sozialer Beitrag.
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© Yves Seiler