Martin Arnold gehört aktuell zu den spannendsten Werbern. Warum? Weil er geile Werbung macht, sein Lebenslauf jedem Nachwuchswerber als Vorlage dienen sollte und weil er einfach ein unglaublich sympathischer Mensch ist. Ich freue mich, dass ich Ihnen ein ausführliches Interview über seine Anfangstage, seine Arbeit bei Rod, sein Verhältnis zu Pius Walker, den Marken der Welt und vieles mehr präsentieren darf.
Yves Seiler: Seit 12 Monaten leitest du die Kreation bei Rod. Wie sieht dein persönliches Zwischenfazit aus?
Martin Arnold: Wir können auf ein sehr produktives Jahr zurückblicken. Für mich ist das natürlich ein angenehmer Start. An dieser Stelle darf ich ein Riesenkompliment an unsere Mitarbeitenden aussprechen. Seit dem ersten Tag ziehen alle voll mit. Und meine Kolleginnen und Kollegen in der GL, Regula Bührer-Fecker, David Schärer, Pablo Koerfer und Marco Meroni, machen alles möglich, was meinen Job einfacher gestaltet. Als Sahnehäubchen gabs ADC Gold, Gold bei der Klappe und Effie Gold (an letzterem war ich nicht mal direkt beteiligt). Diese sehr jungen Erfolge halten uns aber nicht davon ab, weiter Gas zu geben.
Rod ist eine mittelgrosse Agentur, welche vor allem auch die letzten Monate durch einen sehr grossen Output aufgefallen ist. Wie siehst du Rod im nationalen Vergleich?
Was unseren Output unserer Kreation angeht, brauchen wir in der Schweiz sicher keinen Vergleich zu scheuen – auch nicht mit Agenturen, die drei bis viermal so gross sind wie Rod. Der bezahlte Werberaum ist aber nur eine unserer beiden Spielwiesen. Das Amplification Team rund um David Schärer hat mit ihren PR-Kampagnen alleine im letzten Jahr über hundert Artikel und Beiträge generiert, manche sogar auf Frontseiten der grössten Leitmedien in der Schweiz.
Welches deiner letzten Arbeiten ist dein persönliches Highlight?
Von unseren Kampagnen, die aktuell on air sind, sticht sicher die neue Love Life Kampagne «Machs mit und gewinne» heraus. Die Kampagne vermittelt Prävention mit einer positiven Haltung. Und durch den cleveren Gewinnspiel-Mechanismus konnten wir zusammen mit dem Bundesamt für Gesundheit und den Kampagnenpartnern zahlreiche kommerzielle Marken als Sponsoren für die Love Life-Kampagne gewinnen. Angefangen beim Kondomverpackungsdesign, über Print, Microsite, Social Media, Online-Clips, bis hin zur kreativen Inszenierung der Pressekonferenz eine sehr runde Geschichte. Die Zusammenarbeit mit dem Kampagnenleitungsteam des BAG rund um Adrian Kammer ist sehr kollaborativ, was zu ausgezeichneten Resultaten führt.
Bei Rod steht dir die geballte Kreativkraft zur Verfügung. Wie verteilt ihr die Aufgaben untereinander?
Ich tue alles dafür, um den Kreativen die bestmöglichen Voraussetzungen für herausragende Ideen zu schaffen. Ich setze die Kreativen sehr individuell ein. Gezielt für jene Aufgaben, die sie am meisten interessieren. Im Gegenzug schraube ich die Ansprüche an die kreativen Resultate höher. So geht die Rechnung am Ende für alle auf. Das Modell funktioniert allerdings nur mit sehr talentierten Kreativen.
Bevor du das aktuelle Jobangebot angenommen hast, warst du als Freelancer unterwegs und durftest für diverse Agenturen arbeiten. Du magst das Freelancen sehr. Wo siehst du die Hauptvorteile?
Vermutlich habe ich ein etwas verzerrtes Bild vom Freelancen. Ich war nur ein Jahr lang als Freischaffender unterwegs, hab nur die Sonnenseiten erlebt. Ich durfte viele neue Leute kennen lernen. Allen voran Regi, David und Pablo. Zudem hatte ich auch nie Auftragsnot. Einmal wurde ich drei Monate im Voraus für vier Wochen gebucht.
Wie bei vielen anderen Werbern fiel auch dein Werdegang durch Unstetigkeit auf. Handelsschule für Sportler, Matura nachgeholt, 1 Jahr Geschichte studiert und viele Stunden auf dem Snowboard verbracht. Warum ist Werbung dein Ding?
Unstetigkeit ist ein feines Wort, um meine hoffnungslose Schulkarriere zu beschönigen. Ich hab sehr spät begriffen, wie schlecht Schule und ich zusammen passen. Umso befreiender war für mich der Moment, als mir Roger Ghezzi (CD bei Polyconsult) den Job eines Werbetexters erklärt hat. Nämlich laufend nach neuen Lösungen zu suchen, Dinge anders anzugehen als die anderen, mit Kreativen aus allen Bereichen arbeiten usw. Mittlerweile hab ich schon mehr Zeit in Werbeagenturen verbracht, als auf dem Snowboard. Holy shit!
Deine Karriere startete bei WIRZ. Ist es richtig, dass du mit deinem Bewerbungsschreiben gleich deinen ersten ADC Würfel gewonnen hast?
Stimmt. Der erste Würfel fiel mir quasi in den Schoss, bevor ich eine Agentur von innen gesehen hatte. Die Idee für den zweiten ADC-Würfel hatte ich ebenfalls in den ersten Wochen. Damit war ich an zwei der insgesamt vier WIRZ-Würfeln von 2006 massgeblich beteiligt. Die einzig schlaue Lehre, die ich daraus ziehen konnte, war, dass Awards kein vollumfänglicher Gradmesser für Qualität sein können. Schliesslich war ich damals ein Praktikant in einer Kreation mit 20 erfahrenen Leuten, darunter fünf ADC-Mitglieder.
Du hattest stets sehr gute Lehrmeister. Eine besondere Beziehung pflegst du zu Pius Walker. Was war das Wichtigste, das dir Pius mit auf den Weg gegeben hat?
Mit Pius Walker durfte ich als junger Kreativer drei Jahre lang täglich direkt zusammenarbeiten. Das war das Beste, was mir passieren konnte. Seine Leidenschaft für herausragende Werbung ist ansteckend. Gerade im Bereich Film und in der Umsetzung von Kampagnen hab ich von Pius enorm viel gelernt. An seiner Person schätze ich seine aufrichtige Art. Und ein Abendessen mit ihm ist immer ein Erlebnis.
Mittlerweile formst du selber die nächste Kreativ-Generation. Welche drei Kerneigenschaften müssen diese mitbringen, damit du dich mit voller Hingabe für sie einsetzt?
Erstens: Talent. Auch weniger talentierte Leute finden irgendwann eine spannende, kreative Lösung. Dafür fehlt in der Werbung leider oft die Zeit. Zweitens: Interesse. Gute Kreative hinterfragen, überlegen es sich nochmals, versuchen noch was anderes. Kreation ist ein Prozess, der genau so viele Phasen beinhaltet, wie wir ihr verleihen. Drittens: Kritikfähigkeit. Wer keine konstruktive Kritik erträgt, wird auch mich nicht lange ertragen.
Ich muss aber gestehen, dass es weit anstrengender ist, sich formen zu lassen, als andere zu formen. Vor dieser Leistung hab ich Respekt.
Du hattest das Glück, dass du für 1,5 Jahre für AKQA in New York arbeiten durftest. Wie wichtig war diese Zeit für dich?
Ich habe die für einen Kreativen wertvollste aller Erfahrung gemacht – dass alles möglich ist. «Weshalb sollte die amtierende Digital Agency of the Year der USA im umkämpften Arbeitsmarkt New York einen Texter ohne Visum und mit mässigem Englisch aus dem Digital-Entwicklungsland Schweiz anstellen?» Solche Fragen sollte man sich gar nicht stellen. Sondern lieber: «Wie cool wärs, wenns klappt?» Ich konnte direkt mit dem weltweiten Kreativchef Rei Inamoto arbeiten, durfte zur Präsi bei Google mit, wurde für drei Wochen nach San Francisco geschickt, um das dortige Office im Pitch um Youtube zu unterstützen. Endlose Möglichkeiten halt.
Verhältnismässig wagen nur wenige Schweizer diesen Schritt. Warum sollte jeder Nachwuchskreative für einige Zeit die Komfortzone verlassen und den Schritt ins Ausland wagen?
Im direkten Austausch mit weltweit führenden Kreativen entwickeln wir uns besser und auch schneller weiter. Keine Frage. Und die mit Abstand grösste Dichte an den weltweit führenden Kreativen unserer Branche arbeitet zur Zeit in New York City. Die Leute, die jedes Jahr Grand Prix gewinnen und die besten Super Bowls Ads schreiben. Gerry Graf, David Droga, Nick Law, Rei Inamoto, Jeff Benjamin, Jan Jacobs, Leo Permutico, Duncan Marshall, Ian Reichenthal, Scott Vitrone usw. Worauf wartet ihr noch? Ab zum Flughafen!
In New York hast du damals bei einer der heissesten Digitalagenturen der USA gearbeitet. Nebst innovativen Technologien bringt die Digitalisierung immens viel Bewegtbildwerbung mit sich. Die Budgets werden gleichzeitig aber immer kleiner. Wie beeinflusst dich das in deiner Herangehensweise bei der Konzeption von neuen Werbespots?
Ich pflege einen sehr unverkrampften Umgang mit Online-Medien und neuen Technologien. Zwei Drittel der Kampagnen bei Rod sind digital. Ich involviere mich sehr stark in die kreative Umsetzung unserer Kampagnen, suche stets nach Lösungen, versuche alles möglich zu machen. Und unsere Kunden gehen diesen Weg aktiv mit. Für die Wingo Surfer Kampagne sind wir als 6er-Team (Kunde, Producer, Kameramann, Regisseur, Beraterin, ich) durch eruopäische Städte gereist. Gedreht haben wir zu den besten Surferzeiten. Das hiess, am Morgen um 4.30 Uhr aufzustehen und abends erst um 21.00 die letzte Einstellung einzufangen. Gut zwei Drittel des Filmmaterials wurde vor Ort gescriptet. Insgesamt umfasst die Kampagne mit Plakaten, Social Media und Online-Ads nun über 40 verschiedene Werbemittel.
Wo siehst du eigentlich auf psychologischer Ebene den grössten Unterschied zwischen den Amis und uns wenn es um Werbung geht?
Bei den Amis ist Werbung Teil der Show. Nicht nur beim Super-Bowl. Sponsoring wird in Amerika als cool empfunden. Und die Brands werden als Enabler wahrgenommen. In der Schweiz gibt es leider immer noch viele Berührungsängste mit Marken. Zum Glück gehen diese Berührungsängste mit jeder guten Kampagne, die hierzulande on air geht, ein kleines bisschen zurück. Es gibt aber noch viel zu tun.
Eine ganz andere Welt ist dein Heimatort Brig. Was verbindet dich noch heute mit dem Wallis?
Vieles. Meine Familie. Meine Herkunft. Meine Jugend. Und: Miine hüero hibsch Dialäkt.
Und was inspiriert dich?
Fast alles. Die deutsche Formulierung «sich inspirieren lassen» klingt sehr passiv. Ich erlebe Inspiration eher aktiv. Ist Inspiration nicht unsere Fähigkeit, beim blossen Erleben von Dingen und Momenten neue Gedanken zu fassen? Wahre Kreative brauchen zu ihrer Inspiration nicht das MoMA, eine Geburtsrückführung oder eine Reise nach Indien. Es reicht auch schon eine Treppe, ein Bekiffter an der Bushaltestelle oder eine Bratwurst. Was unsere Sprache hingegen sehr treffend formuliert: wir müssen offen sein und Inspiration zulassen.
In zwei Jahren wirst du 40 Jahre alt. Kannst du dir vorstellen bei ROD sesshaft zu werden?
Die Vorstellung, noch lange für Rod tätig zu sein, fällt mir sogar um einiges leichter, als jene, dass ich in zwei Jahren 40 sein werde. Ich denke aber, man kommt gemeinsam am weitesten, wenn man sich auf die aktuellen Aufgaben konzentriert.
Und im Allgemeinen: wie sieht der Konzepter Martin sein Lebenskonzept? Wohin soll die Reise gehen?
Im Moment mache ich mir überhaupt keine Gedanken über mein Lebenskonzept. Das deute ich als ein gutes Omen.
Bei bekannten Werbern wie zum Beispiel Markus Ruf und Peter Brönimann erkenne ich bei fast jeder Kampagne deren eigene Handschrift. Du selber möchtest, dass jede deiner Kampagnen eine eigene, eine andere DNA aufweisen soll. Warum?
Meiner Meinung nach sollte Werbung die Handschrift der jeweiligen Marke tragen. Und nicht jene von Werbern. Eine Kampagnenidee sollte den Eigenheiten einer Marke entspringen. Während der Kreationsphase hab ich mindestens fünf Mal die Möglichkeit, die Kampagne auf den Brand auszurichten. Beim Briefing; bei der Ideenauswahl; bei der Suche der Realisierungspartner (Regie, Fotograf, Illustrator usw.); bei der Realisierung (Scripten, Styling, Shooten); und bei der Finalisierung (Layoutdesign, Schnitt). Es gibt endlos viele Herangehensweisen und Lösungswege, die uns dabei zur Verfügung stehen.
In deiner Karriere durftest du schon für über 100 Marken arbeiten. Welches ist für dich die aktuell spannendste Schweizer Marke?
Mir ist jeder Brand sympathisch, der sich so nimmt wie er ist. Mit allen Ecken und Kanten. Das Potential solcher Brands lässt sich viel besser entfalten, da sie bei den Menschen glaubwürdiger rüberkommen. Es gibt schliesslich auch Menschen, die eine krumme Nase haben und dennoch erfolgreich sind. Weshalb sollten nicht auch Marken ein paar Macken haben dürfen?
Und welches die Internationale?
Nike. Weil die frühe Erfolgsgeschichte von Nike ein schönes Beispiel für einen Brand darstellt, der sich bewusst vom Mr. Perfect Image distanziert. Nike hat sehr erfolgreich auf die Anti-Helden des Sports, wie Eric Cantona und Charles Barkley, gesetzt.
In einer deiner aktuellen Kampagnen lässt du Surfer im Brunnen paddeln. Die nächsten Kampagnen sind in der Entstehung. Was kommt auf uns zu?
Das weiss ich zum Glück auch noch nicht. Nicht einmal, ob’s etwas Lustiges, etwas Ernstes oder etwas Smartes, ob es Filme mit Dialog oder Stummfilme gibt, ob die Plakate schwarzweiss oder in Farbe sein werden. Werbung gibt mir die Möglichkeit, mich auch selber immer wieder zu überraschen. Und solange mir das gelingt, wird’s mir sicher auch nicht langweilig. Fair and square.
©Interview: Yves Seiler