Jeans, Männer und Musik.
1985 war die Welt längst von der futuristischen Synthesizer-Popmusik zurück in alte Musikwelten gestolpert. Von coolen Kunststatements wie Dexys Midnight Runners’ „Comon Eileen“ bis schlimmen Motownverschnitten wie Phil Collins in „You can’t hurry love“ war das Feld bereitet für den Relaunch der Levis Jeans. Und der letzte grosse Coup der Musikindustrie, mit der Einführung der CD ganze Menschenmassen ihre alte Musik noch einmal kaufen zu lassen, heizte die Popularisierung der Revivalsounds so richtig an. Zeit also für die Werbung, sich das zunutze zu machen.
Besser als die Agentur Bartle Bogle Hegarty in ihrer Kampagne für die 501 hätte man es nicht machen können. Mit ihren Popsongcommercials schafften sie eine Nachfrage, die kurzzeitig zu Lieferproblemen beim überforderten Jeansproduzenten sorgte und bis 1988 den Verkauf um das 20fache steigerten, verhalfen alten Popsängern zu neuen Geldflüssen und brachten dabei noch ein, zwei Musiker- und Schaupielkarrieren in Schwung.
All das begann mit den Fifties. Levis Jeans stammen zwar aus dem 19. Jahrhundert, doch den letzten Boost hatten sie in den USA der Fünfziger Jahre: deshalb waren mit der 501 Assoziationen an Diners, Petticoats, Schmalztollen, Rock’n’Roll, James Dean etc. verknüpft.
Die Fünfziger Jahren waren die Heritage, auf der BBH aufbauten. BBH verpasste raffiniert ausgewählten Songs passende Geschichten aus einem Mix aus Romantik, Erotik und Coolness.
Marvin Gaye
Was für ein Auftakt zu dieser unglaublichen erfolgreichen Kampagne. Zu den ersten Takten zu Marvin Gayes „I heard it through the grapevine“ schlenderte dieser wahnsinnig gut aussehende Typ in den Waschsalon. Nick Kamen. Ein Star war geboren, begehrt von tausenden Frauen und Madonna, die ihm danach einen Song auf den Leib schrieb und produzierte, mit dem Kamen in ganz Europa in die Top Ten der Charts kletterte. In der Schweiz erreichte „Each time you break my heart“ den zweiten Platz.
Aber verkauft wurde im Spot Marvin Gaye’s Klassiker von 1968. Nicht über den Text einer hintergangenen Liebesbeziehung, sondern über den unterschwellig-sexuellen Sound (tatsächlich wurde das Stück für den Spot noch bearbeitet) wurde die erotische Aufladung eines männlichen Models unterstrichen:
Ein Grossteil der Levis-Kampagne arbeitete übrigens damit, Männer zu sexualisieren. Männer zogen sich die Jeans aus statt an. Dass diese Umkehrung funktionierte, musste mit den Achtziger Jahren zusammenhängen, in denen Geschlechterrollen erstmals fundamental hinterfragt wurden – man denke nur an Boy George oder Grace Jones.
Der Spot war übrigens auch eine Verneigung vor einem grossen britischen Spot der Sechziger: Der Launderette-Spot von Hamlet. Dieselbe Story. Eine Verneigung? – oder dachte sich Sir John Hegarty, dass man eine gute Idee nach 25 Jahren durchaus wiederholen darf:
Marvin Gaye’s Song war der erste von vier Songs aus Levis-Spots, die es in der Folge in die Top Ten der britischen (und anderer) Charts schafften. BBH hatte damit auf beinahe unübertreffbare Weise eine Integrierte Kampagne geschaffen (damals bedeuteten die Charts ja noch klingende Kasse).
Auch wenn die folgenden Spots schwächere Stories hinlegten (allerdings alle äusserst stimmungsvoll umgesetzt), trug die Musik den Erfolg der Kampagne weiter: Sam Cooke’s „What a wonderful world“ schaffte es 1986 genauso in die Charts wie 1987 – erwartbar – Percy Sledge’s „When a man loves a woman“ und 1988 Ben E. King’s „Stand by me“ (der in England in einem Moment die Nummer 1 wurde, in dem „When a man loves a woman“ noch die Nummer 2 inne hatte: Was für ein Erfolg). Ein verliebter Mann, der zum Jeansschrumpfen mit den blauen Dingern ins Bad stieg, ein Typ, der sich in schwarzen Jeans in einen „No blue jeans allowed“-Club hereinmogelte und eine Frau, die die Jeans ihres Lovers anzieht, weil er ins Militär eingezogen wurde. Alles Weichspüler-Stories verglichen mit dem Nick Kamen Spot. Es wurde Zeit für eine Knaller-Story.
Die kam 1989 – doch hier erst mal Sam Cooke, Percy Sledge, The Temptations’ „My Girl“ (1987) und Ben E. King:
1988 besann man sich dann wieder auf den begehrenswerten Mann in Boxershorts. Zu Muddy Waters’ „Mannish Boy“ wurde die Erotik wieder stärker eingeführt, mit einer Angstlust-Performance des damaligen Supermodels Tatjana Patiz:
Die Knallerstory aber kam 1989 zum 1963er Wall-of-Sound-Hit der Ronettes, „Be my Baby“. Endlich wieder ein rebellischer Mann, der vor Selbstbewusstsein sprühte und sich seiner erotischen Ausstrahlung so sicher war wie zuvor Nick Kamen. Mittlerer Westen der USA, das Auto läuft nicht mehr. Unser Rebell fährt herbei und trennt das schmachtende Mädchen und ihren nerdigen Freund. Aber vorher hat er einen guten Grund, seine Jeans auszuziehen: diese extrem festen, gut genähten Hosen konnten problemlos als Abschleppseil dienen. Die 501 „seperates the men from the boys“, wie es am Schluss heisst. (Eine Kampagne von diesem Kaliber hat natürlich auch oft Hammer-Abbinder.)
Der Rest wird der Imagination überlassen (und der Spot ist von 1989, nicht 1992, wie in diesem – qualitativ besten – Youtube-Titel behauptet):
Was passierte, als BBH die Musik der Fifties und frühen Sixties aufgab – und was das alles mit Brad Pitt zu tun hat, folgt im nächsten Newsletter.
©Text: Michael Kathe