Die Nike-Kampagne mit Kaepernick – auch ein Politthriller?
Letzten Donnerstag, am 6. September, startete die neue Saison der US-amerikanischen Football Liga, der National Football League. Überschattet wurde der Beginn der neuen Saison von Nike’s Werbekampagne, die drei Tage zuvor mit Printanzeigen und Plakaten für einen unglaublichen Wirbel sorgte. Zum ersten Ligaspiel der Saison befeuerte Nike die Kontroverse mit einem zweiminütigen Spot und verursachte damit einen Einbruch ihrer Aktie an der Börse und rituelle Verbrennungen von Nike-Turnschuhen und -Kleidern. Und nicht zuletzt provozierte der grössten Sportartikelhersteller der Welt den mächtigsten Staarschef der Welt zu verbalen Angriffen. Was für eine Kampagne, die nicht nur kommerziell riskant (aber durchaus erfolgsversprechend) ist, sondern auch politisch Stellung bezieht: nicht nur für die Freiheit, seine Meinung zu äussern (und gegen nationalistische Zwänge wie die Nationalhymne singen), sondern auch für die Unabhängigkeit des Sports von der Politik.
Ask if you’re crazy enough.
Unter den vielen berühmten Sporttestimonials von LeBron James bis zu den Williams-Schwestern ragt in der Nike-Kampagne einer heraus: der ehemalige Football-Star Colin Kaepernick. Mit dessen Aussagen „Believe in something. Even if it means sacrifying everything.“ (Plakat) und „Do not ask if your dreams are crazy. Ask if they’re crazy enough“ (Spot) treibt Sportstar Kaepernick erst einmal lediglich das Nike-Mantra „Just do it“ auf die Spitze, doch mit der Person Kaepernick erweitert Nike ihre Philosophie ins Politische. Denn in der von Donald Trump in der letzten Saison angeheizten „Take a knee“-Diskussion gibt es keinen Platzt mehr für Zwischentöne. Es gibt nur noch Schwarz und Weiss.
2016 protestierte American Football-Star Colin Kaepernick gegen die anhaltende Polizeigewalt gegen Schwarze, indem er zur Nationalhymne anfangs sass, später dann kniete und das Singen verweigerte. Viele weitere schwarze Football-Stars folgten seinem Vorbild. Die „Take a knee“-Bewegung war geboren. In die nationale Debatte, die daraus entstand, schaltete sich Donald Trump ein und spaltete mit gewohnter Aggressivität die amerikanische Nation erstmals auch in sportlichen Gefielden: „Get that son of a bitch off the field.“
Kaepernick ist seit 2017 arbeitslos. Nachdem er von seinem Club entlassen wurde, fand er keinen weiteren Arbeitgeber mehr. Das liegt weder an mangelnder Solidarität von Mitspielern oder Trainern, noch an seinem Können (statistisch gesehen liegt er in der oberen Hälfte der besten Quarterbacks), sondern an der National Football League (NFL) und ihren Besitzern.
NFL vs. Trump.
Bei den Clubbesitzern handelt es sich um eine Gruppe konservativer Republikaner, die sich durchaus auch politisch engagieren. Einer der extremsten unter ihnen ist Robert McNair. Der Besitzer der Houston Texans ist einer der reichsten Männer der Erde (544. Platz der Forbes Weltrangsliste). Er machte sich finanziell auch schon stark gegen eine Gesetzesinitiative, die Homosexuelle in Houston gegen Diskriminierungen schützen sollte. Zur „Take a Knee“-Bewegung soll er gesagt haben: „We can’t have the inmates running the prison.“ Offiziell schlägt er spielerfreundlichere Töne an, vor allem, seit er Donald Trumps Position einschätzen kann. Denn trotz ihrem überaus konservativen Führungsgremium ficht die NFL eine Abwehrschlacht gegen den Präsidenten, der in seiner Zeit vor der Präsidentschaft schon mehrfach erfolglos versuchte, einen NFL-Club zu kaufen und nun als mächtigster Mann Amerikas die Liga mit voller Breitseite attackiert. Er lud das Superbowl-Gewinnerteam vor dessen Aufwartung im Weissen Hauses wieder aus und gibt sich auch nicht zufrieden mit dem vor wenigen Monaten von der NFL erlassenen Verbot des Hinkniens.
Nike geht in die Offensive.
Und Nike? Bereits nach Trumps Bannstrahl über die knienden Spieler in 2017 war Nike der erste Sponsor, der klar Stellung bezog: “Nike supports athletes and their right to freedom of expression on issues that are of great importance to our society.” Andere grosse Sponsoren wie Anheuser-Busch, Bose, Ford, Hyundai und selbst Konkurrent und Trump-Liebling Under Armour zogen nach.
Und jetzt mischt sich NFL-Sponsor Nike aktiv in diesen Machtkampf ein, der auf dem Rücken der Spieler ausgetragen wird. Die Reaktion Trumps liess nicht lange auf sich warten. In seinem Tweet „Just like the NFL, whose ratings have gone WAY DOWN, Nike is getting absolutely killed with anger and boycotts. I wonder if they had any idea that it would be this way? As far as the NFL is concerned, I just find it hard to watch, and always will, until they stand for the FLAG!“
prophezeit er schlechteste Einschaltquoten für die amerikanische Football League und den Niedergang von Nike. Beides ist (natürlich) nicht eingetroffen. Im Gegenteil: die Onlineverkäufe sind nach dem Launch auf Ende Woche um 31% gestiegen und Analysten geben dem Brand gute Chance, dass sich die Aktion langsfristig auszahlen wird. Die NFL hat zwar Einbussen in den Einschaltungen, doch die verhalten sich zur Zeit im Rahmen der Einbussen, die TV-Sender insgesamt zu verzeichnen haben. American Football bleibt der bei weitem populärste Sport in den USA.
Nike hat sich demgegenüber für eine uramerikanische, gesetzliche Tugend, das Recht auf Meinungsfreiheit, in einer Weise stark gemacht, wie sie bestens in ihre „Just do it“-DNA passt. Mit perfektem Timing hat der Brand eine mediale Aufmerksamkeit erzeugt wie möglicherweise keine Werbekampagne zuvor (dagegen verblasst auch Elon Musks Tesla in Space völlig). An die Supporter der Aktion wird Nike eine ungemein stärkere Bindung an den Brand erzeugen, die sich in der Anfangszeit auch aus dem Hass der ebenfalls gewachsenen Gegnerschaft speist. Es wird interessant sein, ob Nike die Debatte weiterzieht, korrigierende eingreifen muss oder der Kontroverse nun freien Lauf lässt.
Was sich Nike jedoch in jedem Fall von vielen Menschen verdient hat, ist Respekt. Respekt, sich für den ersten Verfassungszusatz eingesetzt zu haben, für das Recht (schwarzer) Sportler, sich öffentlich politisch zu äussern und engagieren. Gleichzeitig aber auch bietet Nike der konservativen NFL-Führung Hand dafür, sich nicht so einfach dem politischen Druck aus Washington zu beugen und versucht so, auch demokratiwürdige Bedingungen zur freien Meinungsäusserung zu erhalten.
©Text: Michael Kathe