Noch vor der Sommerpause präsentiert uns Michael Kathe Spots mit Sigmund Freud, Carl Sagan und dummen Nüssen.
Kurz und cool mit Cadbury.
Eine Nuss fällt runter. Extrem beiläufig, unspektakulär und umgangssprachlich bemerkt jemand, wie unspektakulär diese Nuss doch ist. Und in Sekundenschnelle wechselt sein Tonfall, weil: Dieses kleine, langweilige Ding landet in Cadbury Schokolade.
Bei Werbeproduzenten werden Ideen oft in eine (meist willkürliche) Unterscheidung zwischen «das ist zu werberisch» und «das ist endlich mal unwerberisch» eingeteilt. Ersteres nicht gut, zweiteres disruptiv-gut. Selten genug wird diese Unterscheidung tatsächlich auch beim Publikum so wahrgenommen … wenn aber ein Spot es tatsächlich schafft, auch beim Publikum disruptiv zu sein, dann dieser 20-Sekünder mit einer unglaublich gut gesprochenen Stimme (von Schauspieler Sunil Patel).
Natürlich entpuppen sich auch Rosinen als unbedeutende Langeweiler, ebenso wie Hafer. Einzig die Frage, ob nicht vor allem Nüsse in den letzten Jahren eine unglaubliche Aufwertung erfahren haben und ob dementsprechend, dank ihrer Gesundheit und diversen Coating, ihre Abwertung ungerechtfertigt ist, sei erlaubt. Trotzdem:
Botschaft aus der Vergangenheit mit UN Global Compact.
Wissenschaftler und SciFi-Autor Carl Sagan warnte vor 40 Jahren bereits, dass die Treibhausgase die Erde zerstören. Wir aber tun so, als kennen wir die Klimaerwärmung erst seit Fridays for Future, und Roger Köppel ist sich immer noch nicht ganz sicher. Sagans Stimme wird von einem alten Magnetbandgerät wiedergegeben, und so wie die alte Technologie ihren Dienst aufgibt, gibt auch die Natur auf:
Herausgekommen bei diesem Spot ist eine unglaublich schöne Installation(sidee) und eine raffinierte Art, ein Testimonial zu inszenieren. Dass wir uns bereits in einem Museum befinden, die ganze Installation das Ende der Natur aufzeigt und das ganze aber noch von einem Kind betrachtet wird, lässt schon die Frage aufkommen, in welcher Zeit wir uns gerade befinden. In einer Zukunft, wenn die vermeintliche Klimakatastrophe bereits abgewendet worden ist? Oder einfach heute, wie der Claim suggeriert: “40 years ago it was urgent. Now it’s an emergency.” Vielleicht sagt die Installation uns auch einfach: Jetzt ist genug geredet und Carl Sagan zugehört. Jetzt sollte gehandelt werden. Oder: Wenn das Sprechen über die Klimakrise aufhört, hört auch die Natur auf zu existieren.
Freud am Fischen mit Specsavers
So ein kurzer, witziger Spot mit absehbarer, aber fein austarierter Pointe kommt einem schon etwas aus der Zeit gefallen vor – und trotzdem hat der kurze Witz ganz im Freudschen Sinn noch etwas Tiefe.
Nebst der Werbebotschaft wird die Seetiefe zur psychologischen Metapher eines sich anbahnenden Altersdramas des Vaters. Er kann nicht mehr gut sehen, darum Bootschlüssel weg: Der Lebensschlüssel (key of life) versinkt im Unterbewussten des Sees. Wenn der Vater am Ende des Spots auch noch sagt «I could stay here forever», dann wandelt sich die wunderschöne Landschaft in etwas Tragödienhaftes, Todesnahes.
Ach ja, und es geht um eine Optikerkette …
Mach den zweiten Platz zum ersten mit Ikea.
Zweitbester sagen und sich als bester etablieren, ist natürlich raffiniert:
Geht natürlich davon aus, dass die Eltern immer noch die sind, die sich am besten um ihr Kind kümmern und zeigt vor allem, dass ein emotionaler Spot nicht eineinhalb Minuten Länge braucht, sondern auch mal 20 Sekunden reichen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Emotion nicht in den letzten 5 Sekunden durch Schriftenwahnsinn, Störerkleckse oder schrille Off-Voice gestört wird. Hier zum Glück alles nicht drin. Und der Abbinder «Proudly second best» sagt uns auf charmante Weise «We’re the best».
Zweimal hinschauen mit Stop AAPI Hate.
Das ist der Spot, den man gern zweimal sehen will. Nicht, weil er seine Botschaft so brilliant transportiert, sondern weil …
Einen Spot zweimal sehen ist dann einfach, wenn man ihn online gleich nochmal abrufen kann, und eine Qual, wenn man ihn am TV sieht. Die Idee mit den Trompe l’oeuils macht zwar Spass, aber in der Umsetzung leider etwas kompliziert: Weil die Hassverbrechen an Asiaten und Pazifikinselbewohnern in den USA oft «unreported» sind, sind sie unsichtbar. Hätte man klarer auflösen müssen und vielleicht bessere Szenen finden können (mehr crime, bzw. Verbrechensorte), doch der Gedanke ist gut.
Text: Michael Kathe