Für seine angebliche Rolle in der Affäre Geri Müller verlieh investigativ.ch am 6. Mai dem Kommunikationsberater Sacha Wigdorovits den «Goldenen Bremsklotz 2015».
Sacha Wigdorovits, zur Überraschung vieler Anwesender, nahm den Preis persönlich entgegen und nützte die Gelegenheit für eine Abrechnung mit den sogenannten Investigativjournalisten, die nicht wirklich recherchieren, sondern «bloss kolportieren und kollaborieren».
Anschliessend verlieh er selbst im Namen des «Vereins Private Förderung Unabhängiger Investigativjournalisten PFUI» den Preis: das Goldene Medien-Ei 2015 «in Anerkennung ihrer Bemühungen um die Förderung eines von Oberflächlichkeit, Schlampigkeit, Selbstzufriedenheit und Verantwortungslosigkeit geprägten Journalismus».
Goldener Bremsklotz 2015 Preisverleihung am 6. Mai 2015
Laudatio von Georg Humbel, Vorstandsmitglied von investigativ.ch
Sehr geehrter Herr Wigdorovits, Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Ich nehme euch jetzt mit auf eine kleine Zeitreise. Es ist Donnerstag, der 14. August 2014; drei Tage, bevor die Selfe-Affäre rund um den Badener Stadtamman und Nationalrat Geri Müller gross in der Zeitung «Schweiz am Sonntag» erscheint. Die ehemalige Chatpartnerin des Politikers ist um 2 Uhr nachts am Bahnhof Baden zusammengebrochen. Sie liegt jetzt im Spital. Und wen versucht die junge Frau in ihrer Not zu erreichen? Sacha Wigdorovits!
Um 4 Uhr 20 in der Nacht piepst dann ihr Telefon: SMS von Sacha Wigdorovits: «Könnten Sie jetzt mal in Ruhe Schritt für Schritt erzählen, was passiert ist und welche Polizei was gemacht hat?» Die Frau versucht zu erklären, was genau passiert ist. Antwort von Sacha Wigdorovits: «Lassen Sie sich Zeit mit ihrem Rapport. Wichtig ist, dass er im Detail stimmt».
5.36 Uhr: SMS von Sacha Wigdorovits. «Rufen sie mich JETZT aufs Festnetz an. Nicht von ihrem Handy aus.»
8:02 Uhr: Nachricht von Sacha Wigdorovits: «Sitze jetzt mit Patrik Müller zusammen.»
Patrik Müller. Der Chefredaktor der «Schweiz am Sonntag». Er, der dann denn Scoop landet und den ersten Artikel über die ganze Affäre schreibt. Über was er wohl mit Sacha Wigdorvits geredet hat? Über’s Wetter vielleicht?
Ich fasse diese Nacht zusammen: Der Zürcher PR-Berater Sacha Wigdorovits schreibt mitten in der Nacht SMS ans Spitalbett. Er fordert um 4 Uhr morgens eine detaillierten Rapport an. Er informiert über sein frühmorgendliches Treffen mit Patrik Müller. Und all diese SMS schreibt er einer Frau, die er angeblich gar nicht kennt. Das wirft doch einige Fragen auf.
Herzlich willkommen an der Preisverleihung des Goldenen Bremsklotzes 2015. Ich freue mich sehr, dass wir den Preis dieses Jahr zum zweiten Mal verleihen dürfen. Er geht dieses Jahr an den PR-Berater Sacha Wigdorovits. Warum? Er hat in der ganzen Affäre um Geri Müller der Öffentlichkeit mehrmals nicht die ganze Wahrheit gesagt. Man könnte auch sagen, er hat gelo … Achtung! Achtung! Ich sehe jetzt schon Sorgenfalten bei unserem Präsidenten und Juristen Dominique. Also: Das Wort Lüge ist justiziabel. Ich werde es in diesem Zusammenhang selbstverständlich auf gar keinen Fall verwenden.
Ich mache das jetzt wie ein guter PR-Berater. Ich sage dieses hässliche Wort einfach nicht mehr. Und ich verwende ein schöneres Wort. Oder noch besser: eine Aneinanderreihung schöner, nichtssagender Worte. Ein guter PR-Berater würde wohl sagen: Herr Wigdorovits hat den Journalisten Dinge ins Mikrofon diktiert, die sich möglicherweise im Nachhinein situativ als missverständlich erwiesen haben könnten unter Berücksichtigung aller Umstände und Fakten.So was würde ein PR-Berater wohl dazu sagen. Zum Stundenansatz von ein paar hundert Franken.
Ich halte hier eine Laudatio. Eine Preiserede. Da haben hässliche Vorwürfe nicht zu suchen. Trotzdem möchte ich noch einmal auf die Affäre und die Rolle von Sacha Wigdorovits eingehen. Also: Am 20. August 2014 publizierte der Tagesanzeiger erstmals einen Artikel, der den Namen Wigdorovits mit der ganzen Geschichte in Verbindung brachte. Michèle Binswanger schreibt, der PR-Berater habe Kontakte zwischen den Medien und der ehemaligen Chat-Partnerin des Politikers vermittelt.
Sacha Wigdorovits hat auf den Artikel so reagiert, wie er auf kritische Artikel zu reagieren pfegt: Mit Anwälten, die beim Chefredaktor interventieren. Und er selber geht via «20 Minuten» in die Gegenoffensive: Er sagt, er kenne diese Frau so gut «wie alle anderen, die in den letzten Tagen Zeitungen gelesen und Fernsehen geschaut haben.»
Diesen Satz sollten wir uns auf der Zunge zergehen lassen. Er kenne diese Frau «so gut wie alle anderen, die in den letzten Tagen Zeitungen gelesen und Fernsehen geschaut haben». Heute wissen wir: Sacha Wigdorovits kennt diese Frau schon ein wenig besser: Er hat sie im April persönlich getroffen. Er hat sie in sein Büro eingeladen. Er hat ihr den Kontakt zu «Blick»- Chefredaktor Lüchinger vemittelt … Und, und, und.
Aber Sacha Wigdorovits’ erste Wahrheit hatte ohnehin nur kurz Bestand. Als der Tagesanzeiger ihn mit Beweisen konfrontierte, musste er zurückkrebsen. Stand der Wahrheit danach: Er habe diese Frau einmal getroffen. Aber seit April habe er von ihr nichts mehr gehört.
Dummerweise tauchten dann Chatprotokolle auf, die zeigten, dass das so auch nicht stimmen kann. O-Ton Sacha Wigdorvits, zerknirrscht: «Ich hätte das dem ‹Tagesanzeiger› der Vollständigkeit halber wohl erwähnen sollen.»
Aber lohnt es sich überhaupt, all diesen alten Kram wieder aufzuwärmen? Ist das überhaupt relevant? Ja, ganz klar. Wenn einer der wichtigsten Spindoktoren der Schweiz im Hintergrund weibelt und das der Öffentlichkeit nicht sagen will, und wenn dieser Spindoktor dann noch ein politischer Erzfeind des betroffenen Volksvertreters ist – dann ist das von öffentlichem Interesse. Dann ist es eine politische Intrige, gegen einen unliebsamen Gegner.
Es freut mich sehr, heute zum zweiten Mal unseren Preis übergeben zu dürfen. Letztes Jahr haben wir den Klotz dem Bundesamt für Landwirtschaft übergeben. Einem staatlichen Akteur. Heute haben wir einen PR-Berater zu Besuch. Und ich fnde es wichtig, das wir heute über diese Branche reden.
Der Staat ist – gemäss Öffentlichkeitsprinzip – verpfichtet, uns Auskunft zu geben, und nötigenfalls gibt es den Rechtsweg. Sogenannte Spindoctors arbeiten im Hintergrund. Und entfalten gerade deshalb eine sehr grosse und unkontrollierbare Wirkung.
Mit Sacha Wigdorovits haben wir hier heute einen der erfahrensten Männer dieser Branche zu Besuch. Er hat den Ruf, hoffnungslose Fälle wieder geradebiegen zu können. Von der Biographie her ist er auch ein typischer Vertreter: Er ist ein Seitenwechsler. War zuvor jahrelang Chefredaktor des «Blick», Mitgründer von «20Minuten», bestens vernetzt in der ganzen Medienszene.
Es ist eine Tatsache: Die PR-Branche hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Gerade auch, weil in den Redaktionen massiv gespart wurde. Sacha Wigdorovits hat in einem Portrait über sich und seine Rolle gesagt: «Ich helfe mit guten Geschichten in die Medien zu kommen.» Welcher Journalist fragt bei einer guten Geschichte denn noch zweimal nach? Wer zögert lange, wenn er einen pfannenfertigen Primeur angeboten erhält? Einen Primeur! Die einzige Währung, die zählt im harten Sonntagsgeschäft.
Ja, die Krise des unabhängigen Journalismus hat den Einfuss der PR-Branche gesteigert.
Zum Schluss meiner Laudatio möchte ich doch noch einen Satz von Sacha Wigdorovits Homepage zitieren. Gross steht da: «Wer nur dann kommuniziert, wenn er Erfolg hat, der wird nie nachhaltig Erfolg haben.» Herr Wigdorovits – sehr erfolgreich und nachhaltig haben sie in dieser Affäre nicht kommuniziert. schön sind sie trotzdem da. Wir freuen uns, Ihnen den Goldenen Bremsklotz 2015 persönlich übergeben zu dürfen.
Sacha Wigdorovits Verleihung «Das Goldene Medien-Ei 2015»
Liebe Festgemeinde
Zunächst einmal möchte ich mich bei Ihnen ganz herzlich für die Einladung zur heutigen GV und die Verleihung des Goldenen Bremsklotz 2015 bedanken.
Es ist natürlich eine höchst ungewöhnliche Auszeichnung, aber einem geschenkten Gaul schaut man bekanntlich nicht ins Maul. Auch wenn er wohl nur aus Trompeten- und nicht echtem Gold ist.
Da es sich um journalistischen Auszeichnung handelt, habe ich auch nichts anderes erwartet. Denn wir alle wissen ja, dass es Ihrer Branche schlecht geht. Dies ist auch der eigentliche Grund, dass ich Ihre Einladung zum heutigen Festakt gerne angenommen habe. Denn, wie Sie wissen, war ich ja zwanzig Jahre lang selber Journalist – und zwar ein sehr begeisterter. Deshalb beschäftigt es mich, wenn es Ihrer Branche schlecht geht.
Zudem habe ich den Drang zum Missionieren, der Ihrem (beziehungsweise: meinem ehemaligen) Berufsstand anhaftet, nicht ablegen können. Ich bin also quasi als ein Trojanisches Pferd hier hergekommen. Nämlich nicht bloss, um die Auszeichnung entgegenzunehmen, sondern um mit meinen Ausführungen den einen oder anderen von Ihnen vielleicht zum Denken anzuregen.
Zum Nachdenken zum Beispiel, ob ich tatsächlich der richtige Preisträger bin. Denn so sehr ich mich über jede Auszeichnung freue, so bin ich doch auch ein selbstkritischer Mensch. Eine Eigenschaft übrigens, wie ich zugeben muss, die ich mir erst zugelegt habe, seit ich nicht mehr Journalist bin. Denn im Journalismus ist sie, wie wir alle wissen, nicht weit verbreitet, weil sie alles viel komplizierter macht.
Viel einfacher und angenehmer ist es, sich bei seiner journalistischen Tätigkeit von Selbstgerechtigkeit, Vorurteilen und Arroganz leiten zu lassen. Das äussert sich dann darin, dass sich Journalisten in Verkennung ihrer Rolle und in Selbstüberschätzung ihrer Fähigkeiten zu selbsternannten Richtern aufspielen. Oder zu Mitgliedern einer Jury, die sich berufen fühlt, andere zu bewerten und Preise zu verteilen.
Dies bringt mich zurück zu unserem heutigen Anlass und zur Frage, die ich mir selbstkritisch dazu gestellt habe: Bin ich tatsächlich ein würdiger Preisträger Ihrer bedeutenden Auszeichnung?
Denn ich habe zwar zugegebenermassen in der Selfieaffäre Geri Müller – beachten Sie übrigens: es ist und bleibt die Affäre Geri Müller und nicht die Affäre Sacha Wigdorovits – zu Beginn nicht so kommuniziert, wie ich es hätte sollen. Dies habe ich denn auch öffentlich, in der NZZ, an einem Managementseminar über Krisenkommunikation und in vielen persönlichen Gesprächen als Fehler zugegeben und die Gründe dafür analysiert. Doch als ich durch Ihren geschätzten Präsidenten Georg Humbel von meiner Nomination erfuhr, habe ich mich gefragt, weshalb nicht auch Geri Müller selbst für den Goldenen Bremsklotz nominiert wurde?
Zum Beispiel, weil er am 19. August 2014 eine Pressekonferenz gab, bei der es den Journalisten verboten war Fragen zu stellen. Eine Pressekonferenz übrigens, bei der sich schon kurze Zeit später herausstellte, dass er einen Teil der Wahrheit verschwiegen hatte. Aber entweder haben Sie all dies schlicht vergessen. Oder als Investigativ-Journalisten der Ausgabe 2015 finden Sie es einfach normal, dass man es Ihnen verbietet, an einer Medienkonferenz Fragen zu stellen und es auch mit der Wahrheit nicht ganz genau nimmt.
Eine dritte Erklärung ist: Sie haben Geri Müller nicht für die Auszeichnung nominiert, weil es Ihnen politisch nicht in den Kram passte. Weil er nicht der SVP oder der FDP angehört, sondern der Grünen Partei und es deshalb schlicht nicht sein darf, dass er «Täter» ist und nicht armes «unschuldiges Opfer».
Eine vierte Möglichkeit lautet, Sie hätten Ihre einmal gefasst These nicht in Frage stellen wollen und sie deshalb auch gar nicht überprüft. Last but not least ist es auch möglich, dass Sie Herrn Müller nicht nominieren wollten, weil einzelne unter Ihnen ihm oder seinem Anwalt in dieser ganzen Sache Informationen zu verdanken haben. Und wer schlachtet schon gerne die Gans, die goldene Eier legt? Doch von goldenen Eiern wollen wir etwas später reden.
Ich bin gespannt, anschliessend von Ihnen zu hören, welcher dieser Gründe für Herrn Müllers Nicht-Nomination für den Goldenen Bremsklotz 2015 verantwortlich war. Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass Sie irgendetwas vergessen haben, sondern dass es vor allem eine Kombination der anderen Gründe gewesen ist. Denn – und bitte entschuldigen Sie, wenn ich das jetzt so offen sage – im Gegensatz zu dem, was Sie selber von sich glauben, sind Sie keine «Investigativjournalisten». Und noch weniger sind Sie Journalisten, welche die Dinge distanziert und unvoreingenommen analysieren.
Oft sind Sie einfach nur Kolporteure und, schlimmer noch, zum Teil sogar Kollaborateure von Dritten, die eine ganz andere, eigene Agenda verfolgen. So hat eine Ihrer Kolleginnen seinerzeit gross berichtet, in der Causa Geri Müller sei durch Herrn Müller bzw. dessen Anwalt gegen mich eine Strafanzeige eingereicht und eine Strafuntersuchung verlangt worden. Hätte die betreffende Journalistin investigiert statt bloss kolportiert und kollaboriert, dann hätte sie problemlos herausgefunden, dass diesem Ersuchen durch die Staatsanwaltschaft nicht stattgeben wurde und es nie eine Untersuchung gegen mich gegeben hat.
Dass sie dies nicht getan hat und deshalb völlig grundlos meinen Ruf schädigte, war ihr nicht nur egal, sondern es war von ihr beabsichtigt. Denn für Journalisten wie sie geht es nicht um die Suche nach relevanten Wahrheiten, sondern um eine Jagd auf missliebige Personen, die es abzuschiessen gilt. So, wie wenn sie auf ihrer Playstation 4 spielen.
Das Schlimme ist, dass solcher Exekutionsjournalismus der eigenen Anerkennung im Redaktionskollegium zuliebe oft im Dienste anderer verrichtet wird. Weil sich die betreffenden Journalisten auf der Jagd nach einer «geilen» Story von ihren Informanten gerne zu willigen Handlangern degradieren lassen.
Der Begriff «Kindersoldaten», der in unserer Branche in solchen Fällen gebraucht wird, ist deshalb für diese Journalisten und Journalistinnen durchaus angebracht. So wie ich das sehe, sind sie auch in Ihrem ehrenwerten Verein vertreten.
Bezeichnend ist auch, um bei der Causa Geri Müller zu bleiben, die ja der Anlass für die heutige Preisverleihung ist, dass nur ein einziger Journalist – Marcel Gyr von der NZZ – sich die Mühe genommen hat, den ganzen von der Staatsanwaltschaft sichergestellten Chatverkehr akribisch zu studieren. Weil er herauszufinden wollte, ob die Vorwürfe gegen mich und gegen den Vorsteher der Jüdischen Cultusgemeinde Baden, Josef Bollag, stimmten. Die Vorwürfe nämlich, wir hätten auf die ehemalige Chatpartnerin von Herrn Müller aus politischen Gründen Druck ausgeübt, sie solle zu den Medien gehen und Herrn Müller an den Pranger stellen.
Als Marcel Gyr dann zum Ergebnis kam, dies sei nicht der Fall gewesen, die Frau habe aus eigenem Antrieb gehandelt, musste er sich von gewissen unter Ihnen die Frage gefallen lassen, ob er sich habe kaufen lassen. So gehen Sie mit Ihren eigenen Kollegen um, die ihren Beruf als Investigativ-Journalisten wirklich ernst nehmen und sich nicht einfach zu willfährigen Instrumenten ihrer Informanten machen lassen. Dass wegen dieser haltlosen Anschuldigungen sowohl Herr Bollag als auch ich das Opfer von antisemitischen Attacken und Morddrohungen wurden, ist diesen Kollegen und Kolleginnen von Ihnen natürlich völlig egal. Sie müssen ja nie die Konsequenzen ihrer verantwortungslosen Schreibe tragen. Erstens, weil sich viele Chefredaktoren, aber auch Geschäftsleitungen von Medienunternehmen um ihre Verantwortung drücken, in solchen Fällen einzuschreiten. Und zweitens, weil im Journalismus Fehlverhalten kaum je gegenseitig kritisiert oder gar anprangert wird.
Diese «Omerta», dieses Gesetz des Schweigens, ist verhängnisvoll für die ganze Medienbranche. Denn sie führt dazu, dass auch die seriösen Journalisten unter dem schlechten Image ihrer unseriösen Berufskollegen leiden.
So hat eine im Jahr 2010 durchgeführte bevölkerungsrepräsentative Umfrage ergeben, dass die Glaubwürdigkeit von Journalisten ganz unten auf der Berufsskala zwischen jener eines Autoverkäufers und jener eines Immobilienmaklers angesiedelt ist.
Dies ist umso bedauerlicher, als die korrekten Journalisten, die sich nicht eitel das Label «Investigativ» auf die Brust heften, sondern ganz einfach unaufgeregt, kompetent und gewissenhaft ihren Beruf ausüben, immer noch die überwiegende Mehrheit bilden. Ob Sie da auch dazu gehören, bezweifle ich, wenn ich die heutige Preisverleihung anschaue und die Erfahrungen Revue passieren lasse, die ich mit gewissen von Ihnen in den letzten neun Monate gemacht habe. Zugegeben, das ist jetzt ein hartes Urteil.
Aber erstens ist die Wahrheit hin und wieder hart – auch wenn sie Journalisten betrifft und nicht deren Opfer. Zweitens muss ich meinem von Ihnen oft kolportierten Ruf gerecht werden, «der Mann fürs Grobe» zu sein. Und drittens habe ich Ihnen ja angekündigt, ich sei als Missionar zu Ihnen gekommen. Denn mit meiner Kritik will ich Sie nicht einfach in die Pfanne hauen. Ich will Sie dazu bekehren – oder mindestens einen Anstoss dazu geben –, dass Sie in Zukunft Ihre wichtige Aufgabe besser wahrnehmen. Das mag auf den ersten Blick paradox scheinen. Denn dem Umstand, dass viele von Ihnen ihren Job – um es taktvoll zu sagen – «suboptimal» erledigen, verdanke ich ja zum grossen Teil meine Existenz als Kommunikationsberater.
Würden Sie mehr über die Sachen wissen wollen und sich intensiver und vorurteilsloser mit den Menschen auseinandersetzen, über die Sie schreiben, dann müsste ich stempeln gehen. Im Grund genommen muss ich mich bei Ihnen also nicht nur für die ehrenvolle Auszeichnung bedanken, die Sie mir heute verleihen, sondern auch dafür, dass Sie Ihren Beruf so ausüben, wie Sie es tun. Sie sichern damit meine Existenz. Doch so einfach ist das nicht.
Denn grundsätzlich sind die Medien für meine Kunden wichtige Plattformen für die Wissensvermittlung an die für sie relevanten Zielgruppen. Aber dies gilt selbstverständlich nur für Medien, die aus Sicht ihrer Konsumentinnen und Konsumenten kompetent, glaubwürdig und relevant sind. Und davon hat es bei uns leider immer weniger. Dies ist nicht eine bösartige Unterstellung meinerseits. Dies belegen ganz einfach die Leserzahlen der Tages- und Sonntagszeitungen. Denn die sind praktisch bei allen Titeln rückläufig. Das hat die letzte Woche veröffentlichte MACH-BASIC-Studie 2015-1 der Wemf erneut gezeigt.
In diesem Zusammenhang wüsste ich Ihnen übrigens noch einen guten Kandidaten für den Goldenen Bremsklotz 2016: Die Unternehmensführung von Tamedia und die Chefredaktion des Tages-Anzeigers. Diese haben zwar verschämt in einer unauffällig unten auf einer linksliegenden Seite platzierten Kurzmeldung darauf hingewiesen, dass der Tagi erneut zu den Verlierern im Lesermarkt gehört. Aber sie haben es geflissentlich verschwiegen, darauf hinzuweisen, wie viele Leser der Tages-Anzeiger in der letzten Erhebungsperiode im Vergleich zum Vorjahr genau verloren hat. Nämlich 5%. Damit kommt er noch auf 466‘000 Leser.
So viel zu jenen, die gerne den Mangel an Transparenz bei andern kritisieren, aber für sich selbst andere Regeln anwenden. Jetzt werden Sie mir vermutlich entgegenhalten, die negative Entwicklung bei den Printleserzahlen habe in erster Linie technologische Gründe: nämlich die Digitalisierung der Medien. Das stimmt zum Teil. Deshalb bin ich auch nicht der Meinung, dass zum Beispiel bei Titeln wie der NZZ oder der NZZamSonntag oder Schweiz am Sonntag, oder bei Wirtschaftszeitungen wie der Finanz und Wirtschaft und Handelszeitung fehlende Qualität die Ursache für den Rückgang der Leserzahlen ist. Auch etliche regionale Titel behaupten sich mit ihrer Art der sachlichen Berichterstattung gut im Markt. Und das Schweizer Radio mit seinen Nachrichten- und Hintergrundsendungen gehört zu meinen liebsten Informationsquellen.
Damit bin ich nicht allein, denn eine neue europäische Studie der EBU zeigt, dass das Radio das Medium mit der höchsten Glaubwürdigkeit ist. Demgegenüber ist gemäss der gleichen Studie bei den Printmedien die Zahl jener Nutzer, die ihnen misstrauen grösser als jene, die ihnen trauen (49%:43%). Deshalb sind bei gewissen Medien, wie zum Beispiel der SonntagsZeitung, dem Tages-Anzeiger oder der Weltwoche, die über die letzten Jahre hinweg insgesamt dramatischen Leserverluste grossenteils hausgemacht.
Sie hängen mit dem angeblich investigativen, in Tat und Wahrheit oft aber nur aggressiven, polemischen, politisch motivierten und deshalb letztlich unglaubwürdigen Journalismus zusammen. Dieser Journalismus funktioniert nicht!
Im Gegensatz zu Ihnen sind nämlich Ihre Leserinnen und User kritischer und aufgeklärter geworden, und sie haben sich deshalb emanzipiert. Indem sie auf dem World Wide Web eigene Recherchen anstellen und selber investigieren. Oder indem sie anderen Quellen mehr glauben als Ihnen. So beziehen zum Beispiel heute die Unter-Dreissig-Jährigen ihre Informationen mehr von ihren Facebook-Freunden als von Medienwebseiten. Dies muss Ihnen zu denken geben. In Ihrem ureigenen beruflichen Interesse.
Aber auch als Bürgerinnen und Bürger eines Staates, der als direkte Demokratie in besonders grossem Masse auf kompetente, glaubwürdige und relevante Medien angewiesen ist. Ein Anspruch, den heute in der Schweiz leider nur noch wenige Print-Medien erfüllen, von den Online-Plattformen ganz zu schweigen. Auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen wird ihm nur noch beschränkt gerecht. Nicht zufällig sind deshalb auch bei den Informationssendungen von SRF die Zuschauerzahlen rückläufig, obschon die Newslage fast immer für das Gegenteil sorgen könnte. Lassen Sie mich damit zum Schluss kommen. Und ich muss gestehen, dass ich jetzt fast ein bisschen ein schlechtes Gewissen habe. Denn es gehört sich eigentlich nicht, den Gastgeber zu kritisieren, wenn man zu einer Festveranstaltung eingeladen und obendrein noch mit einem Preis ausgezeichnet wird.
Deshalb möchte ich, meine Danksagung für Ihren schönen Preis nicht auf solche Weise beenden. Stattdessen möchte ich mir an Ihnen ein Beispiel nehmen. Sie haben mir ja für ein Verhalten, das Sie als verfehlt beurteilten, einen Preis verliehen.
Nun bin ich zwar, wie gesagt, der Meinung, dass andere im abgelaufenen Jahr diese Auszeichnung mehr verdient hätten. Bei Lichte betrachtet finde ich sogar, dass Sie selbst den Preis verdienen. Denn Ihre Art von kolportierendem statt recherchieren-dem, von thesenbehaftetem und fremdgesteuertem statt faktenorientiertem und unabhängigem Journalismus vernebelt die Wahrheit oft mehr, als dass sie sie erhellt. Aber ein Geschenk zurückzugeben, wäre unhöflich. Und Ihre Prämierungs-Idee an sich, finde ich ja gut. Deshalb habe ich mir erlaubt, sie zu kopieren.
So freut es mich, Ihnen eine andere Auszeichnung zu verleihen. Ich tue dies im Namen von PFUI. PFUI steht für Private Förderung Unabhängiger Investigativjournalisten. Wenn Sie wissen wollen, wer diesem Verein angehört, müssen Sie ein bisschen investigieren. Aber das machen Sie ja gemäss eigener Aussage gerne.
Im Namen von PFUI freut es mich also, Investigativ.ch die Auszeichnung «Das Goldene Medien-Ei 2015» zu verleihen.
Es ist nicht mit dem ähnlich lautenden James-Bond-Film «Golden Eye» zu verwechseln, sondern soll Ihr eigenes journalistisches Schaffen ehren. Lassen Sie mich zur Begründung aus der Preisverleihungsurkunde zitieren:
«Der Verein Private Förderung Unabhängiger Investigativjournalisten PFUI ehrt mit dem Goldenen Medien-Ei 2015 Investigativ.ch und dessen Mitglieder in Anerkennung ihrer Bemühungen um die Förderung eines von Oberflächlichkeit, Schlampigkeit, Selbstzufriedenheit und Verantwortungslosigkeit geprägten Journalismus. Die Jury hofft, mit der Verleihung des Preises einen Beitrag zu leisten, dass Investigativ.ch und dessen Mitglieder sich in Zukunft etwas mehr der Erforschung relevanter Wahrheiten und etwas weniger der selbstgerechten (Vor-) Verurteilung Anderer widmen. Zürich, 6. Mai, im Namen der Jury, Sacha Wigdorovits.“
Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zu dieser wohl verdienten Auszeichnung. Ich hoffe, sie wird Sie hin und wieder daran erinnern, dass es an den Hühnern und Gänsen ist, Eier zu legen, und nicht an den Medien. Und jetzt freue mich auf eine spannende, ungebremste Diskussion.
Sacha Wigdorovits
Texte:
Laudatio von Georg Humbel
Goldener Bremsklotz: Sacha Wigdorovits, Contractmedia