Die KV-Lehre bei der Migros, 6 Jahre Texter und CD bei Jung von Matt und Springer & Jacoby in Deutschland, Werber des Jahres und seit einem Jahr Publicis CEO. Bei Thomas Wildberger ist die Richtung klar: diese zeigt nach oben, ohne Kompromisse. Wer mitzieht, ist Teil des Erfolges. Für unmotivierte Menschen hat es im Schema Wildberger keinen Platz. So gleicht die aktuelle Agentur-Aufstellung nicht mehr derjenigen vor ein paar Jahren.
Schnell ging der Umbau und die Integration von Leo Burnett, Alpha 245 und Saatchi & Saatchi von statten. Beachtlich, wenn man bedenkt, dass es sich bei der französischen Agenturgruppe um einen Kollos handelt. Beachtlich auch, auf welcher Erfolgswelle der Frachter gerade reitet. Thomas stand mir einmal mehr für ein Interview zur Verfügung und erzählt, welches seine beste Personal- aber auch Kunden-Akquise war, wie er über die Neider denkt und welche aktuelle Kampagne ihm besonders gefallen hat.
2017 war ein äusserst erfolgreiches Jahr für Publicis. In sehr vielen Fällen wart ihr Pitch-Gewinner. Es steht somit gut um das französische Werbe-Flaggschiff. Was waren deine persönlichen Highlights?
Für mich war es die Bestätigung, dass unsere Initiative „Power of One“ funktioniert. Der Zusammenzug aller Publicis-Firmen an den Stadelhofen ist das eine, aber den ganzen Apparat mit seinen zahlreichen Spezialisten aufeinander abzustimmen und zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit zu bringen, war die eigentliche Kunst. Dass das innerhalb von einem Jahr geglückt ist, ist fast ein wenig unheimlich. Und es ist ja nicht so, dass wir nur Pitches gewonnen haben. Wir haben – und das kann ich gar nicht genug betonen – gleichzeitig auch bei unseren bestehenden Kunden gute bis sehr gute Arbeit abgeliefert, wie zum Beispiel die Kampagnen für Calanda Glatsch, UBS, SWISS, Sanofi, E-Smog-Protect oder Jura beweisen. Ein grosser Dank gebührt daher allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Agentur. Sie haben nicht nur 4 grosse Pitches in nur 100 Tagen gewonnen, sondern Publicis 365 Tage lang auf Kurs gehalten.
Unter anderem konntet ihr Ricola, Sunrise, Eichhof und die Post als Neukunden gewinnen. Gab es auch Rückschläge?
Keine nennenswerten. Aber dafür noch einen weiteren hochkarätigen Pitch-Gewinn: den um die Dachmarke der Migros.
Richtig. Für die Migros habt ihr gerade die neue Dachkampagne lanciert. Die Leitidee basiert auf den 2,2 Mio. «Migros-Besitzern». Kannst du uns die wichtigsten Informationen zur Kampagne erläutern?
Die Kampagne ist eigentlich gar keine Kampagne. Sie ist vielmehr eine Plattform beziehungsweise ein Programm, das nicht nur beliebig lange, sondern auch immer wieder völlig neu und anders gespielt werden kann, so dass es immer unterhaltsam bleibt. Die Grundidee basiert auf der Tatsache, dass Gottlieb Duttweiler die Migros 1941 dem Volk geschenkt hat, folgt meinem von McCann-Erickson entwickelten Lieblingscredo ‚Truth well told’, und lautet: Die Migros gehört den Leuten. Und das merkt man.
Gestartet sind wir erstmal mit einer Serie zahlreicher Filme, in denen sich diese Leute genauso verhalten, wie man sich eben verhält, wenn man Besitzer ist: stolz, aber nicht überheblich. Und dazu mit der Haltung: Hey, wenn mir der Laden schon gehört, dann kauf ich natürlich auch bei mir ein.
Klar, die Idee ist eine Übertreibung, aber sie entspringt eben der Wahrheit. Umso mehr, weil sich die Migros vorgenommen hat, dass ihre Kunden, pardon Besitzer, ab sofort noch viel stärker in „ihre Migros“ eingebunden werden sollen. Etwa wenn es um das Mitbestimmen über gewisse Produkte geht oder um wichtige Zukunftsthemen.
Bei der Migros-Kampagne, wie eigentlich bei jeder aktuellen Publicis-Kampagne, ist Peter Brönnimann im kreativen Lead. Gibst du mir Recht, wenn ich behaupte, dass die Verpflichtung von Peter eine deiner bisher besten Entscheidungen war, seitdem du CEO von Publicis bist?
Es wäre unfair, diese eine Personal-Entscheidung über die anderen zu stellen, denn letztlich ist ein harmonierendes Team das A und O eines jeden Unternehmens. Ich bin daher insgesamt sehr zufrieden mit all unseren Neu-Zugängen, egal ob in der Kreation oder in den anderen Bereichen. In der Beratung haben wir beispielsweise enorm an Kompetenz zugelegt, und auch der gesamte Back-Office-Apparat, der Publicis Communications mit knapp 250 Angestellten zusammenhalten muss, läuft wie am Schnürchen.
Peter Brönnimann hat mir gesagt, dass er es toll findet, wie schnell du Entscheidungen triffst. Welche weiteren Eigenschaften zeichnen dich als CEO aus?
Peter hat mir zu meinem Amtsantritt „Wenn es hart auf hart kommt“ von Ben Horowitz ausgeliehen, ein Buch für CEO-Frischlinge. Darin steht, dass man wichtige Entscheidungen schnell treffen soll, weil man sonst zu zweifeln und hadern anfängt. Das mag stimmen, aber richtig sollten die Entscheidungen halt trotzdem sein. Und dafür verlasse ich mich auf meine Intuition.
Als CEO muss man sich mit vielen Alltagsproblemen herumschlagen. Hast du überhaupt noch Zeit, dich kreativ einzubringen? Gibt es aktuelle Kampagnen, welche du konzipiert hast?
Bei der Migros-Kampagne war ich an vorderster Front. Und ich bin auch sonst immer dabei, wenn man mich fragt oder wenn ich finde, dass ich mich involvieren sollte.
Stresst es dich nicht, dass ihr erfolgreich seid, viele neue Kunden an Bord holt, und du zwar CEO bist, dir der Laden aber nicht gehört?
Ich bin Migros-Besitzer. Das reicht mir völlig. Da muss mir nicht auch noch ein relativ kleiner Laden wie Publicis gehören.
Und jetzt wirst du auch noch CEO von Leo Burnett. Ist dies das erste Anzeichen, dass schon bald alles unter Publicis laufen wird?
Es läuft schon länger alles unter Publicis, nämlich unter Publicis Communications. Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied. Denn unter Publicis Communications werden alle Werbeagenturen wie Publicis Zürich, Leo Burnett, Alpha 245 und Saatchi & Saatchi geführt. So wie unter Publicis Media diverse Mediaagenturen und unter Publicis.Sapient diverse Digitalagenturen laufen. Alle diese Firmen haben eines gemeinsam: Sie haben ihre eigene Kultur und Philosophie und werden diese auch beibehalten. Ausserdem agieren sie komplett eigenständig, können aber voneinander profitieren.
Erfolg bringt leider auch Neider. Du selber musstest schon immer mit Neidern leben, vielleicht mehr als andere. Die aktuelle Phase muss dich nur schon deswegen unglaublich befriedigen. Ist es jetzt ruhiger um die Neider geworden?
Neider wird es immer geben. Je nach dem wie man sich entwickelt, tauchen auch immer wieder neue auf. Aber ich höre sie nicht, da ich gar nicht mehr hinhöre, weil ich mich ausschlieslich mit Publicis Communications, unseren Angestellten und Kunden beschäftige.
Als du das CEO-Zepter übernommen hast, hörte man, dass viele Leute in der Beratung und Kreation die Agentur verlassen mussten. Wie wichtig ist es dir, dass dein Team aus äusserst loyalen Mitarbeitern besteht?
Es stimmt, dass damals einige gehen mussten. Einige sind aber auch von sich aus gegangen. Loyal waren sie zwar alle, aber in beiden Fällen hat man gemerkt, dass man fachlich nicht mehr zusammenpasst. Oder wie ein Fussballtrainer sagen würde: Die Spieler haben einfach nicht mehr ins System des Vereins gepasst.
Herausragende Werbung sieht man immer weniger. Heute sind es eher ausgeklügelte Strategien und die Werbung ist nur noch Teil davon. Wie wird sich die Werbung im folgenden Jahr weiterentwickeln?
Dieses Jahr wird sich nicht viel verändern, in den nächsten Jahren jedoch schon. Der Mensch wird immer mobiler, gläserner, vernetzter, informierter, abgelenkter und ich-bezogener. Für unsere Branche besteht daher eine der grössten Herausforderungen weiterhin darin, diese Menschen zu erreichen. Hierbei werden Daten eine übergeordnete Rolle spielen. Die Frage ist dann allerdings immer noch: Was dann? Was sagen wir diesen Menschen, wenn wir sie erreicht haben? Deshalb müssen wir Technologie UND Kreativität zelebrieren; das eine für das andere nutzen. Wer beides zu einem einzigartigen Erlebnis verschmelzen kann, gewinnt.
Es stört mich aktuell, dass man statt einem herausragenden Spot, mehrere mittelmässige entwickelt. Quantität und Qualität sind nicht mehr im Gleichgewicht. Was ist deine Meinung zu den Auswirkungen von Content-Marketing, das Unmengen an Spots mit sich bringt?
Wie immer gilt: Das Gute ist selten. Und mit mehreren Spots versucht man natürlich, unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen. Dass das hin und wieder auch gelingen kann, hat unsere Vorsorge-Kampagne für die UBS gezeigt.
Spots sind aber meiner Meinung nach kein Content, denn Spots sollten nach wie vor der guten alten Attention dienen. Also damit Kunden sich erstmal für eine Marke oder ein Produkt interessieren.
Content sollte etwas hinzuaddieren, nie losgelöst daherkommen und in erster Linie hilfreich sein. Wenn er dazu noch unterhaltsam ist, umso besser. Die unzähligen Filmchen, die auf YouTube kursieren, in denen die neuesten Frisuren-Trends, Styling-Tipps und Haarfärbe-Empfehlungen von Hipstern, It-Girls, Influencern oder der Nachbarin von nebenan abgegeben werden, sind zwar kein besonders kreatives, aber ein gutes Beispiel für diese Art von Marketing. Diese Filmchen wurden fast alle von Schwarzkopf produziert und zahlen voll auf die Marke ein. Denn am allerwichtigsten ist, dass Content zur Positionierung und damit zum Rest der Kommunikation passt. Und nicht einfach wahllos von irgendwelchen Möchtegern-Spezialisten an der Marke vorbeiproduziert wird, frei nach dem Motto: Lasst uns mal was Freches fürs Internet machen.
Ein solch stringentes Gesamterlebnis, das einer Marke ein Gesicht gibt, kann schnell teuer werden. Ausser man entwickelt es zentral. Daher setzen wir bei Publicis alles daran, immer noch mehr unter einem Dach anbieten zu können: Von der Markenpositionierung über eine grosse Idee inklusive deren Umsetzung in alle relevanten Kanäle bis hin zu inhouse-produziertem Content – moderiert und verantwortet von einem Kernteam. Auch das ist „Power of One“.
Einer der herausragenden Spots war für mich der Weihnachtsfilm der Migros Weihnachtskampagne welcher von Wirz umgesetzt wurde. Welche Kampagnen haben dein Herz berührt?
Ich gebe zu, dass ich bei dem einen oder anderen Galaxus-Motiv hin und wieder herzhaft lachen muss.
Publicis verzichtete im vergangenen Jahr auf die Teilnahme an Kreativ-Wettbewerben. Wie sieht es im kommenden Jahr damit aus und was ist deine persönliche Meinung zum Verzicht?
Wir verzichten gemäss Vorgabe unserer Gruppe seit Mitte letzten Jahres auf alle Award-Eingaben und ziehen das noch bis Ende Juni durch, werden daher im März ausnahmsweise auch nicht beim ADC teilnehmen. Das ist zwar schade, aber auch nicht gleich ein Weltuntergang.
Mitte Jahr wird «Marcel» an den Start gehen. «Marcel» ist einer der Gründe, dass ihr auf die Teilnahme an Kreativ-Wettbewerben verzichtet habt. Seid ihr mit «Marcel» auf der Zielgeraden?
Das Projekt läuft nach Plan und wird Mitte des Jahres in Paris vorgestellt.
Was versprichst du dir für den Standort Zürich von «Marcel»?
Viel. Unsere Leute werden mit der gesamten Publicis-Gruppe vernetzt und haben unter anderem Zugriff auf einen riesigen Fundus an Know-how, Daten und Cases. Es ist ein bisschen so, als würden die restlichen 80.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Publicis-Gruppe auch noch an den Stadelhofen ziehen. Auch das ist „Power of One“.
Zum Schluss: was ist deine Meinung zur No-Billag Initiative?
Ich lehne sie ab. Die SRG bietet mit Tagesschau, 10vor10 oder Echo der Zeit hervorragenden Journalismus. Dafür umgerechnet etwa 1 Franken pro Tag zu bezahlen, halte ich für fair. Und für ein Assad-Interview, wie es in der Rundschau gezeigt wurde, würde ich sogar ein paar Jahresbeiträge auf einmal überweisen.
©Interview: Yves Seiler