Für Thomas Wildberger gehört die letzte Mai Woche 2016 zu den Wochen, welche er sein Leben lang nicht vergessen wird. Das Wichtigste zuerst: Thomas wurde stolzer Vater einer süssen Tochter. Das alleine ist schon die eigentliche Krönung seines Lebens. Dieses meint es jedoch gut mit ihm, denn zusätzlich wurde der Kreativ-Chef von Publicis zum Werber des Jahres 2016 gewählt.
Eines vorneweg: Thomas hat den Titel Werber des Jahres wohlverdient. Seine Arbeiten haben für unglaublich viel Wirbel und noch mehr Trophäen gesorgt. Thomas Wildberger hat in den letzten 4 Jahren das Maximum aus der Publicis herausgeholt. Mehr geht nicht. Auch die beiden Top Werber Livio Dainese und Dennis Lück wären geeignete Werber des Jahres gewesen. In diesem Jahr stand ihnen aber ein Wilder, der Wildberger vor der Sonne. Es freut mich ausgesprochen, dass mir der frisch gebackene König der Werber, für ein Kater-Interview (der Mann hatte unglaublich viel zu feiern) zur Verfügung stand.
1. Herzliche Gratulation zur Wahl «Werber des Jahres 2016»! Was bedeutet dir diese Auszeichnung?
Viel. Zum einen wird mit mir zum zweiten Mal nacheinander ein Vertreter von Publicis Werber des Jahres, was für eine konstant gute Leistung unserer Agentur spricht. Zum anderen habe ich mich gegen starke Konkurrenz durchgesetzt. Daher freue ich mich über diese Auszeichnung wirklich sehr.
2. Alle drei Nominierten sind tolle Werber. Hand aufs Herz: wärst du bei einer Nichtwahl sehr enttäuscht gewesen?
Ja, aber die Enttäuschung wäre verflogen. Denn alle drei waren ja nominiert, weil sie etwas auf dem Kasten haben, und darauf darf man als Nominierter ruhig auch etwas stolz sein.
3. Es gab eine Juryentscheidung und auch die Abonnenten der Werbewoche durften ihren Favoriten wählen. Welches Gremium war für die Entscheidungsfindung wichtiger?
Vermutlich war die Jury das Zünglein an der Waage. Sie besteht zum grossen Teil aus ehemaligen Werbern des Jahres, die genau wissen, was es braucht, um den Titel zu holen und wer ihn demzufolge verdient.
4. Als «Repräsentant» einer ganzen Branche wirst du nun häufiger Interviews geben. Ist die Pressearbeit etwas, das du gerne machst?
Ja, aber nicht um des Interview-Geben-Willens. Ich äussere mich lieber etwas weniger, dafür etwas gehaltvoller. Wer ein Interview von mir liest, sollte danach vielleicht sogar etwas gelernt haben.
5. Was ist dein persönliches Verständnis von guter Werbung?
Oha, Achtung, jetzt kann man vielleicht sogar etwas lernen ;-)
Gute Werbung polarisiert. Richtig gute Werbung hingegen finden alle gut. Von ihr fühlt sich der Konsument weder bedrängt noch belästigt und auch nicht belehrt, er erlebt stattdessen den perfekten Moment, in dem einfach alles stimmt und sich manchmal sogar ein Glücksgefühl einstellen kann – ähnlich wie bei einem Gemälde, einem Spielfilm oder einem Song. So etwas ist extrem selten. Bei mir schaffte das beispielsweise der Nike Spot «Good vs. Evil».
6. Wenn es in Diskussionen um deine Person ging, hörte ich oft: «Er macht hervorragende Arbeit, dies bei zahlenden, anspruchsvollen Kunden und schwierigen Branchen.» Wie siehst du das?
Schön zu hören, denn genau das ist mein Antrieb. Eine starke Idee für eine Charity Organisation zu haben, ist zwar auch nicht einfach, doch es ist relativ leicht, sie umzusetzen. Die wirkliche Herausforderung liegt doch darin, jeden unserer Kunden von innovativen, kreativen Lösungen zu überzeugen und dafür zu kämpfen. Sebastian Turner hat stets proklamiert «Kreativität lohnt sich». Und das stimmt. Man schaue sich nur an, welche Kampagnen gerade beim Effie gewonnen haben. Es sind dieses Jahr sehr viele dabei, die gerade auch beim ADC und anderen Award-Shows Preise gewinnen.
7. Die UBS-Kampagne ist die, die am meisten abgeräumt hat. Kennst du die Pläne der UBS? Wird diese Kampagne nun auch im Ausland verwendet?
Ich habe gehört, dass die Kampagne in der Schweiz fortgeführt werden soll. Und dass es mal lose Anfragen aus den USA gab, was wohl hauptsächlich am TV-Spot «Car» lag. Vielleicht dachten die Amis, dass das Aufleben des Songs «Paradise City» in unserem Spot ein paar Monate später zur Versöhnung von Guns N’Roses geführt hat. Was also solche Wunder bewirkt, muss ja gut sein.
8. Du bist sportbegeistert und spielst aktuell selber in der Champions League. Wie kannst du das alles noch steigern? Hast du keine Angst vor der Sättigung?
Die Schnauze voll werde ich nie haben, denn dafür gibt es weltweit viel zu viele Disziplinen, in denen wir noch nicht erfolgreich waren. Und zum Stichwort Champions League: Als Schweizer Werbeagentur ist es enorm schwierig, im Konzert der Grossen dauerhaft mitzuspielen. Das würde ich natürlich gerne, aber wie auch im Fussball muss man dafür auf jeder Position hochkarätig besetzt sein und eine moderne Philosophie verfolgen oder sogar einen neuen Stil entwickeln, so wie das Anfang der 90er Jung von Matt geschafft hat. Damals hatte man jede ihrer Kampagnen schon von weitem erkannt, weil sie eine einzigartige Handschrift hatte. Darauf arbeiten wir bei Publicis Tag für Tag hin, und wir entwickeln uns gut, am Ziel sind wir aber noch lange nicht.
9. Fussballer wechseln nach Grosserfolgen häufig den Verein oder der laufende Vertrag wird um eine hübsche Summe angehoben. Nicht wenige Spieler haben eine Meisterprämie. Gibt es diese auch beim Spielertrainer Wildberger?
Na ja, Maurice Lévy ist zwar nicht Präsident vom FC Chelsea, aber auch nicht gerade vom SC Bümpliz.
10. Du bist Perfektionist, was sicherlich einer der Garanten für den Erfolg ist. Perfektionismus kann aber auch nahe bei Verbissenheit liegen. Ist dies auch bei dir ein schmaler Grat?
Ja, aber ich bin gut abgesichert. Lotte, mein buddhistischer Tempelhund aus Tibet, sorgt nach Feierabend für meine Ausgeglichenheit.
11. Ich attestiere dir auch eine gewisse Sensibilität. Auch dies kann ein Garant für Erfolg sein. Wie siehst du das?
Feinfühligkeit kann in vielen Momenten helfen. Zum Beispiel wenn man dem Kunden vom Gesicht ablesen kann, was er denkt. Dazu setze ich mich bei Präsentationen oft ganz nach hinten und achte weniger auf das, was meine Kollegen vortragen (das kenne ich ja eh schon), sondern viel mehr auf die unmittelbaren Reaktionen im Publikum. Diese sind vielsagender als die, wenn der Kunde wieder das Pokerface einschaltet. Am wichtigsten ist Feinfühligkeit meiner Meinung nach aber zu Beginn eines Projektes. Wer bei einem Briefing nicht herausspürt, was ein Kunde tatsächlich will, läuft direkt von Anfang an in die falsche Richtung. Um das zu vermeiden, muss man sehr gut zuhören und lieber einmal mehr nachfragen. Ich habe zu Kunden schon oft den Satz gesagt: Stellen Sie sich vor, ich bin ein 6-Jähriger, und jetzt erzählen Sie mir bitte noch einmal von vorn, was Sie genau wollen.
12. Vor ein paar Wochen warst du für den ADC-Deutschland, beim grossen Bruder, als Juror tätig. Auch beim Schweizer ADC bist du aktiv. Wie unterscheiden sich die beiden ADC-Vereinigungen voneinander? Wie war das Niveau der deutschen Kollegen?
Die sehr guten Arbeiten aus der Schweiz können es locker mit den sehr guten Arbeiten aus Deutschland aufnehmen. Interessant war dieses Jahr allerdings, dass in Deutschland eine Print-Kampagne die meist ausgezeichnete Arbeit war und ein Print-Magazin den Grand-Prix gewonnen hat. Und das, obwohl der Wettbewerb unter dem Motto Content stand. Nicht gerade Nachwuchs-fördernd.
13. Hattest du etwas «Heimweh»? Oder war es einfach schön, die alten Kollegen wieder einmal zu sehen?
Ja, es ist in erster Linie ein Klassentreffen für mich. Einfach ohne den, den man damals auf dem Pausenplatz immer vermöbelt hat.
14. Kampagnen gegen Rassismus scheinen sich für Awards besonders gut zu eignen. Ich finde es gut, dass solche Kampagnen gemacht werden, jedoch fände ich es schade, wenn diese im Interesse eines möglichen Award-Gewinnes konzipiert werden. Wie denkst du darüber?
Ich glaube nicht, dass Menschen mit tief verankertem rechten Gedankengut sich von solchen Anti-Rassismus-Kampagnen stoppen lassen. Diese sind zwar oftmals top-kreativ, helfen aber hauptsächlich den Agenturen, um ihre Award-Bilanz aufzuhübschen. Ich wäre dafür, dass solche und allgemein Charity-Kampagnen in den Kreativ-Rankings nicht mehr zählen, oder nur noch zur Hälfte oder dass sie wenigstens separat ausgewiesen werden. Mal sehen, wie viele Agenturen sich dann noch so leidenschaftlich engagieren.
15. Von Jean-Remy von Matt hast du sehr viel gelernt. Was war das Wichtigste, das er dir auf deinem Karriere-Weg mitgegeben hat?
Sei ein Fan vom Produkt deines Kunden. Klappt bei BMW super, bei Always Ultra weniger.
16. Jung von Matt hat mit Dennis Lück einen geeigneten Nachfolger für Alexander Jaggy gefunden. Ich würde viel dafür wetten, dass die GL von JvM auch an dich gedacht hat. Hat dein Handy nie geklingelt?
Nein, mein Handy ist immer auf lautlos.
17. Mit deinem Freund Alex Römer hast du erfolgreich die Werbeagentur «Römer Wildberger» geführt. Würde dich die Selbständigkeit nochmals reizen? Ausschliessen tust du sie auf jeden Fall nicht, oder?
Nein. Ich bin jetzt 42 und erlebe gerade «The time of my life». In mir steckt viel Energie, die irgendwie raus muss. Und die vor allem in etwas fliessen muss, das sich weiterentwickeln, gestalten, beeinflussen und weiter pushen lässt, denn ich will auf keinen Fall den Status Quo verwalten. In wie weit sich ein solches Vorhaben in einer so grossen Netzwerkagentur wie Publicis noch weiter als bisher umsetzen lässt, wird sich zeigen.
18. Der Markt ist gesättigt und doch kamen zwei neue Player nach Zürich. Was hältst du von Heimat und Thjnk, welche mit Bestimmtheit nicht auf der Jagd nach KMUs sind?
Klar gibt es hierzulande bereits sehr viele Agenturen. Aber noch immer zu wenige, die sich der totalen Kreativität verschrieben haben. Heimat und Thjnk bringen daher sicher viel frischen Wind in die Branche und ich fände es klasse, wenn wir uns gegenseitig zu Höchstleistungen anstacheln würden. Man läuft schneller, wenn man die Konkurrenz im Nacken spürt.
19. Du bist Vater geworden. Hast du in den vergangenen 9 Monaten feststellen können, dass du ruhiger und vielleicht sogar lockerer geworden bist?
Ja, das liegt aber nur zum Teil am Vaterwerden. Als ich vor 4 Jahren bei Publicis angefangen habe, setzte ich mir einige (auch durchaus hochgesteckte) Ziele, die wir kontinuierlich verfolgt und zu einem grossen Teil auch erreicht haben. Werber des Jahres ist nun so etwas wie die Krönung. Das entspannt.
20. Welche Eigenschaften soll dein Kind von dir übernehmen?
Da es ein Mädchen ist, soll es alle bezaubernden Eigenschaften meiner Frau übernehmen. Und vielleicht noch meinen Sinn für Gerechtigkeit.
21. Und welche nicht?
Nicht immer alles schwarz-weiss sehen. Ausser die Filme von Godard.
22. Was für ein Schüler warst du? Der junge Wilde (man munkelt Wildberger sei nur ein Pseudonym) oder doch eher der Musterschüler?
Born to be Wildberger. Der Name ist Programm.
23. Was du nicht ausstehen kannst, sind Minimalisten. Gibt es sonst noch Charaktereigenschaften, welche dich auf die Palme bringen?
Es stimmt nicht, dass ich keine Minimalisten mag. Mit wenig Aufwand das Maximum zu erreichen ist doch eine fantastische Eigenschaft. Für mich das Schlimmste – und das gilt ganz generell – ist Geiz.
24. Salt zählt nicht mehr auf eure Unterstützung. Die neue Kampagne empfinde ich als Notnagel oder als eine schlechte Weiterführung der Grundkampagne. Diese Tatsache hat dich mit Bestimmtheit auch auf die Palme gebracht?
Nein, nein, so schlimm ist das gar nicht. Ich finde es sogar super, wenn es schlechte Werbung gibt. So fällt umso mehr auf, wenn wir daraus hervorstechen.
25. Du wohnst in Küsnacht am Zürichsee. Hast du ein Lieblingsrestaurant? Wo trifft man dich abends an?
In der Schweiz tue ich mich mit Restaurants schwer. Mein Lieblingslokal war, ist und bleibt daher das Borchardt in Berlin. Ein Szenelokal mit enorm hoher Promidichte. An einem Abend sitzt du neben Gerhard Schröder, an einem anderen neben Iris Berben, mal hinter Till Lindemann, mal vor Kai Diekmann, mal neben Joop, mal neben einem Werber des Jahres. Und das Beste ist: keine, wirklich keine Sau interessiert’s.
26. Die Geburt deines Kindes, du bist für ein Jahr der höchste Werber und trotzdem wirkst du auf mich eher nachdenklich. Fehlt dir noch etwas zu deiner totalen Zufriedenheit?
Ich wirke nur nachdenklich, weil ich ständig nachdenke. Nein, zum ersten Mal seit langem kann ich sagen: mir fehlt es an nichts.
© Yves Seiler
Bilder: Thomas Wildberger
