Tobias Fueter versteht es mit seiner Firma «stories AG» schöne Geschichten zu inszenieren. Seine Werke werden immer wieder ausgezeichnet. Egal, ob vom ADC oder in Cannes, die Wertschätzung, welche er und sein Team erfährt, ist enorm. Es freut mich sehr, dass uns der vielbeschäftigte Regisseur und Filmeliebhaber für ein Interview zur Verfügung stand.
Ein guter Fussballtrainer muss kein guter Fussballer gewesen sein. Muss ein guter Regisseur ein guter Schauspieler sein?
Tobias Fueter: Er muss kein guter Schauspieler sein, aber er sollte das Schauspielhandwerk verstehen und zumindest schon mal selbst vor einer Kamera gestanden haben. Nur so kann man nachvollziehen, wie nackt und verletzlich man sich dabei fühlt. Und wie dankbar man dann für präzise und emotional sinnvolle Anweisungen des Regisseurs ist.
Ein guter Werbespot sollte einem guten Spielfilm in nichts nachstehen. Wie störend ist es, dass Sie statt 90 Minuten nur 50 Sekunden zur Verfügung haben?
Ich empfinde es nicht als störend. Das Handwerk ist bei allen Filmlängen sehr ähnlich. Die Voraussetzungen für die Umsetzung der einzelnen Szenen sind dafür komplett unterschiedlich: Bei einem Spielfilm ziehe ich die Szene auf maximale emotionale Tiefe, ohne Berücksichtigung auf die Länge. Bei einem Werbespot wird auf maximal emotionalen Impact in der effizientesten, klarsten und kürzesten Weise gesetzt. Das Ziel ist immer das Gleiche: den Zuschauer emotional zu packen.
Was ist denn überhaupt anspruchsvoller? Ein guter Werbespot oder ein toller Film?
Der Spielfilm ist die Königsdisziplin. Über 90 Minuten den Zuschauer nicht zu langweilen und einen befriedigenden, abwechslungsreichen Spannungsbogen zu halten ist eine Kunst. Die Einfachheit und Eleganz eines gelungenen Werbespots wird jedoch oft unterschätzt: Es gibt viele Beispiele, die stehen einem Spielfilm punkto Handwerk und erzählerischer Eleganz in Nichts nach.
Was sind aktuell die grössten Schwierigkeiten, mit welchen Sie als Producer zu kämpfen haben?
Zum Glück darf ich ja ganz oft den Regisseur markieren und lasse meine Produzenten, allen voran meinen Partner Yves Bollag, die Probleme lösen. Aber eigentlich ist es beim Film immer dasselbe: Die Finanzierung zu finden ist die grösste Herausforderung.
Das Konsumverhalten hat sich in den letzten Jahren massiv verändert. Was für Herausforderungen muss sich die Filmbranche künftig stellen?
Neue Gefässe, wie zum Beispiel die Youtube Prerolls und Instagram- oder Facebook-Integrationen, stellen die Werbe- und Filmbranche vor Herausforderungen, denen wir uns sehr gerne annehmen. Bei jedem neuen Projekt analysieren wir die jüngsten Entwicklungen und wenn es passt, binden wir sie in unsere Umsetzung ein.
Dann sehen Sie der Zukunft positiv entgegen?
Ich sehe riesige Chancen: der Filmmarkt expandiert täglich. Netflix, Amazon, Yotube sind neue, mächtige Player und Storytelling in Virtual Reality wird auch bald explodieren. Branded Entertainment ist bald soweit, dass Brands ihre eigenen Kinofilme produzieren. Alle schreien nach mehr Content und emotionalen Stories. Und wir schreiben, konzipieren, produzieren und kreieren sie. Egal für welches Medium. Wir sind also perfekt positioniert.
Ihre 2010 gegründete Filmproduktionsfirma stories gehört zu den Grossen im Geschäft. Wie entwickeln Sie sich nun noch weiter?
Wir haben das Glück, in einem extrem lebendigen Markt agieren zu dürfen. Bewegtbild und emotionaler Content sind so attraktiv und gefragt wie noch nie. Jedes Jahr bringt neue Technologien und eröffnet neue Märkte. stories hat die nötige Flexibilität und Expertise, sich auf neue Trends einzulassen, sie in mancher Weise vorauszusehen und die neuen Chancen wahrzunehmen. Im Moment entwickeln wir zum Beispiel unsere Storytelling-Fähigkeiten in Virtual Reality weiter.
Mit dem Suva-Unternehmensfilm «Das Leben braucht Mut» gewann Ihre Firma 2014 erstmals den Cannes Grand Prix (Delphin) für die Schweiz. Ist das bisher Ihre höchste Auszeichnung?
Wir haben soeben gemeinsam mit Ruf Lanz am diesjährigen Cannes Lions Festival einen Löwen für das Haus Konstruktiv gewonnen. In der Königsdisziplin Film.
Auf welchen Prinzipien beruht das Erfolgsrezept von stories?
Als vergleichsweise kleine Filmproduktionsfirma ist uns der direkte und menschliche Kontakt mit unseren Partneragenturen und Kunden sehr wichtig. Das, in Kombination mit einer gelebten Transparenz und der vollen Kontrolle des Planungs- und Budgetierungs-Prozesses, macht uns zu stories. Ausserdem können wir einen Full-in-house-Service mit Casting, Schnitt, Ton-Mix, Bildpostproduction bis Color Correction hier in Zürich bieten. In Zusammenarbeit mit Schweizer und internationalen Top-Regisseuren wie Michael Fueter oder Pep Bosch und renommierten Service Produktionen auf der ganzen Welt, kreieren wir Filme, die Menschen bewegen. Das gelingt uns dank unseres konsequenten und jahrelangen Fokus auf das, wovon heute alle sprechen: emotionales Storytelling. Wir lieben einfach unsere Arbeit.
stories wird von 3 Partnern geführt. Hat jeder dieser Partner seine Kompetenzen, wo er sich am besten einbringen kann?
Das war eine der Ideen bei der Gründung: Ein Produzent, ein Regisseur und ein Musiker in der Geschäftsleitung garantieren die so wichtige Balance zwischen Show und Business. Gute Filme entstehen nur, wenn grossartige, kreative Ideen mit solider finanzieller Planung und Effizienz zusammen spielen.
Zum Gründer Team von stories gehört der Komponist Adi Frutiger. Die Musik ist für die Dramatisierung enorm wichtig. Wie wichtig ist die Musik für stories?
So wichtig, wie sie jeder zum Thema befragte Regisseur nennt: mindestens 50 Prozent. Musik ist viel subtiler als das Bild. Richtig eingesetzte Musik kann einen Film komplett auf den Kopf stellen.
Für den Triumph-Spot suchten Sie sogar die Zusammenarbeit mit einem Broadway-Komponisten als Musik-Arrangeur. Wie findet man aus der Schweiz einen geeigneten Broadway-Komponisten?
Das ist ganz einfach und für uns als Filmproduktion daily business: Wir recherchieren nach geeigneten Talenten, aktivieren unser Netzwerk, kontaktieren Kreative direkt oder über Agenten und überzeugen sie mit Herzblut und der Qualität unserer bisherigen Arbeiten zum Mitmachen.
Der Spot für Triumph ist wunderschön. War es schwierig den Kunden von einer animierten Umsetzung zu überzeugen?
Suzanne McKenna, Marketing Verantwortliche bei Triumph, ist eine Frau mit Mut und Vision, die genau weiss, was sie will. stories präsentierte viele spannende Kampagnenideen. Der Animations-Ansatz war aber klar eine der Originellsten und Differenzierensten. Suzanne hat dies sofort erkannt und Triumph wird jetzt für den Mut belohnt: Im September wird Teil zwei der Kampagne ‚Find the One Again’ die 10 Millionen Views-Marke auf Youtube übertreffen.
Stimmt es, dass Sie für den Spot, welcher vom Disney-Kassenschlager «Frozen» inspiriert ist, das Drehbuch selber geschrieben haben?
Ja, ich liebe es zu schreiben. Der Spot ist übrigens noch von ganz vielen anderen Filmen inspiriert. Stories ist für den gesamten filmischen Teil der ‚Find the One‘ Kampagne verantwortlich und ich leite jeden Bereich der Produktion sehr nah und persönlich. So ein Projekt ist zeitlich und finanziell nicht möglich, wenn es nicht zentral geführt wird.
Animierte Filme sind auch im Kino zum Teil viel erfolgreicher als die herkömmlichen Hollywood-Blockbuster. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Animierte Filme sind universell verständlich, werden von allen Altersstufen geliebt und sind kulturübergreifend verwendbar. In Animation lässt sich ganz viel erzählen, was in Realität gar nicht machbar oder viel zu teuer wäre. Charaktere lassen sich einfach überhöhen und filmisch ist man komplett frei: Die Kamera kann sich über physikalische Gesetze hinwegsetzen und ist perfekt planbar. Dies führt auch zu präziserem und schliesslich emotionalerem Storytelling. Und das spürt der Zuschauer.
Seit Sie im Filmbusiness tätig sind, hat sich Vieles verändert. Was war Ihrer Meinung nach früher besser und auf was möchten Sie heute auf keinen Fall verzichten?
Der Schnitt und den Schnitt. Ich habe noch auf einem Steenbeck von Hand mit Rasierklingen einzelne Filmframes geschnitten und mühsam wieder zusammengeklebt. Da überlegte man sich einen Schnitt ganz genau, bevor man zum Cut ansetzte. Das gab dem Prozess eine gewisse Tiefe. Aber gleichzeitig liebe ich es heute, Bild, Ton, Text, Musik, Typographien und Animationen in Kürze zu Moods zusammenzuschneiden – zum Beispiel, um meine Regieanweisungen präziser zu machen oder Kunden und Agenturen mit Previsualisations im Voraus von einem Schnitt zu überzeugen. Nur verleitet diese Flexibilität oft zum Versionenchaos, man schneidet, bevor man denkt.
Sprechen Sie von einer Tiefe, die es heute nicht mehr so gibt?
Doch, man muss nur mehr darauf achten. Darum nehme ich mir oft kurz einen Moment, bevor ich beginne und stelle mir vor, welchen Cut ich als erstes machen würde, wenn ich am Steenbeck sässe und jeder Handgriff zählte. Das Beste beider Welten kombiniert sozusagen.
Sie stammen aus einer Filmdynastie und wuchsen in einem kreativen Umfeld auf. Ab wann interessierten Sie sich selber für Filme, die Technologie dahinter und wie diese hergestellt werden?
Filme liebe ich seit ich denken kann: Egal, ob die Super8 Familienfilme meines Vaters, Scacciapensieri im TV oder Bambi, E.T. und Bud Spencer und Terence Hill im Kino, mein Bruder und ich zogen uns alles rein, was wir konnten. Die Technologie dahinter interessierte mich aktiv eigentlich wenig, aber vielleicht auch, weil sie wie selbstverständlich allgegenwärtig war: Super8 Kamera und Projektor, die ersten VHS Rekorder, 16mm Filmrollen lagen herum, sogar eine Laterna Magica des Grossvaters benutzten wir regelmässig.
Ihr Vater war bekannter Filmemacher. Waren Sie als Kind häufig am Set? Wurde Ihnen das Talent in die Wiege gelegt?
Wir waren ab und zu am Set. Jeder der mal auf einem Filmset war, weiss, wie langweilig es dort nach einer halben Stunde wird, wenn man nicht selber vor oder direkt hinter der Kamera steht. Unser Vater hat uns davor verschont, ausser wenn es was zu sehen gab: Die wunderschönen Kostüme auf dem Set von ‚Der Landvogt von Greifensee’ sehe ich noch genau vor mir. Als Kind habe ich alle Erlebnisse wie ein Schwamm aufgesaugt – von daher wurde ich bestimmt vom Talent meiner Engsten stark geprägt. Ich hatte ohne Zweifel ein Riesenglück in einer so kreativen Familie aufzuwachsen.
Die Aufführungen des Kindertanztheaters ihrer Mutter (Claudia Corti) im Winterthurer Stadttheater haben Sie am Nachhaltigsten beeindruckt. Stimmt das?
Bei den Aufführungen meiner Mutter kommt alles zusammen: eine berührende Geschichte, wunderschöne Sets und Kostüme, packende Musik, witzige Songs und Kinder, die mit einer Inbrunst und Ehrlichkeit ihre Parts singen, tanzen und schauspielerisch zum Besten geben, dass kein Auge trocken bleibt. Beim Theater ist alles viel direkter als auf einem Filmset, wo man immer nur einen kleinen Ausschnitt der Arbeit miterlebt. Da wird real-time Regie geführt: das Licht nochmals geändert, die Tanzschritte angepasst, der Songtext im letzten Moment umgeschrieben, die Performance der Hauptrolle verfeinert. Und das alles in einem verdunkelten, riesigen Theater mit 150 Kindern auf der Bühne. Das war für mich bereits als Kind beeindruckend und ist es heute noch mehr. Diese märchenhafte Stimmung beeinflusst meine Filme täglich.
©Interview: Yves Seiler